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Analyse/ Kommentar: Fantasyhelden kämpfen gegen alles - außer Rollenbilder?

Swantje Niemann • Nov. 28, 2018

„Selbst von Helden, an deren Mut kein Zweifel besteht, wird man wahrscheinlich kein ‚Fick dich, kulturelle Konvention, ich knuddele jetzt begeistert quietschend diese kleine Katze!‘ hören.“ Warum eigentlich nicht?

Eine kleine, aber interessante Beobachtung
Während sie lange in der Unterzahl waren, sind Heldinnen, die sich nicht mit den ihnen zugewiesenen Rollen begnügen, mittlerweile kaum aus der Phantastik wegzudenken. Kriegerinnen, Königinnen, Rebellinnen, Wissenschaftlerinnen, Heerführerinnen, Diplomatinnen ... vielleicht sind sie noch als Antagonistinnen oder Gehilfinnen der/des großen Bösen ein wenig unterrepräsentiert, aber im Großen und Ganzen haben wir es mit einer erfreulichen Anzahl von Figuren zu tun, die auf die Frage „Was kann eine Frau* sein?“ mit einem herzhaften „Alles!“ antworten würden. Einige Geschichten spielen in Gesellschaften, in denen weitgehend Gleichberechtigung herrscht (z.B. in Robert Jackson Bennetts „Die Göttlichen Städte“, in Max Gladstones „Craft Sequence“ oder in den meisten Urban-Fantasy-Romanen), in wieder anderen zeigt sich die Stärke der Hauptfigur unter anderem darin, dass sie herrschende Vorurteile und Narrative ihrer Kultur hinterfragt und gegen alle Widerstände ihren Weg geht.
Diese Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich von niemandem einreden zu lassen, wer oder was man sein sollte, ist eine der Eigenschaften, die Leser*innen Respekt für eine Figur einflößen. Dementsprechend müsste es doch ein typischer Charakterzug, starker männlicher Charaktere sein, dass sie mit den Erwartungen brechen, die ihre Kultur und auch die Kultur des Publikums an Männer stellen.
Oder?
Interessanterweise fällt mir nicht auf Anhieb ein ganzer Haufen männlicher Fantasyhelden ein, bei denen ich sagen würde, dass sie mit Rollenerwartungen brechen (zumindest nicht in den Hauptrollen, Nebenfiguren haben in der Regel mehr Spielraum). Mit ein bisschen Nachdenken finde ich welche, aber doch deutlich mühsamer, als das bei "maskulinen" Fantasy-Frauen der Fall ist.
Was wären mögliche Erklärungen (außer, dass ich zu wenig/ nicht aufmerksam genug gelesen habe)?

These 1: Männliche Hauptfiguren müssen seltener mit Rollenerwartungen brechen, weil es viel mehr mögliche Rollen für sie gibt
Während aktive weibliche Hauptfiguren in nicht romantischen und für ein gemischtes Publikum vorgesehenen Geschichten erst allmählich nicht mehr als Abweichung von der Norm wahrgenommen werden und es z.B. auch in unserer Welt noch extra betont wird, wenn eine Frau Computerspiele streamt/ sich in den Naturwissenschaften hervortut/ erfolgreiche Unternehmerin ist/ ein hohes politisches Amt hat (z.B. hoben mehrere Zeitungen eigens hervor, dass der Congress in den USA nach den Wahlen von 2018 weiblicher sei als je zuvor), stehen männlichen Figuren traditionell viele Rollen offen. In der Phantastik begegnen uns weise Mentoren, schüchterne Nerds, die sich zu Helden mausern, charismatische Anführer u.v.m. Es waren einfach so lange so viele interessante Tätigkeiten/Rollen primär mit Männern assoziiert, dass es vielleicht einfach weniger ausschließlich weiblich konnotierte Aktivitäten gibt.
ABER: Es gibt doch einige. Und mir fallen sehr wenige männliche Buchfiguren ein, die gerne basteln/ stricken/ backen/ viel Zeit auf ihr Äußeres/ Wohnungseinrichtung verwenden/ romantische Filme/Bücher/Musik mögen/am liebsten Vollzeitvater wären/platonisch Körperkontakt mit Geschlechtsgenossen suchen ...
Es scheint also, als müssten männliche Figuren nicht so oft mit Erwartungen brechen, weil die an sie gestellten Erwartungen vielfältiger sind. Aber ihr Verhaltensspielraum scheint dennoch durch solche beschränkt zu sein.

These 2: "Männliche" Stärken und Schwächen passen besser zu Protagonist*innen
Schauen wir uns mal positive und negative Eigenschaften an, die stereotyp mit Männern und Frauen assoziiert werden (das ist jetzt allerdings nur mein Eindruck und auf Deutschland 2018 bezogen. Jede Kultur und Epoche hat ihre eigenen Vorstellungen davon, das typisch für das eine oder andere Geschlecht ist).

Männer:

  • Positive Eigenschaften: Mut, Direktheit, Konfrontationsbereitschaft, Entschlossenheit, Selbstbewusstsein, Durchsetzungsfähigkeit, logisches und praxisbezogenes Denken
  • Negative Eigenschaften: Arroganz, Aggressivität, übertriebenes Konkurrenzdenken, Rücksichtslosigkeit, Unsensibilität, Verachtung für Schwäche/Emotion
Frauen:
  • Positive Eigenschaften: Mitgefühl, diplomatisches Geschick, Rücksichtnahme, Kooperation, Fürsorge, Talent dafür, Gefühle zu artikulieren
  • Negative Eigenschaften: Ängstlichkeit, Unehrlichkeit, Eifersucht, Unselbstständigkeit, Eitelkeit, Illoyalität
Interessanterweise sind die „männlichen“ Schwächen in vielen Fällen die Sorte Schwächen, die man einer Figur geben würde, um sie spannend und differenziert zu machen.
Der Held oder die Heldin hat ihre Fähigkeiten überschätzt, und muss jetzt den dadurch heraufbeschworenen Problemen entkommen? Toller Anfang für eine Geschichte. Arrogante(r) Einzelgänger*in muss kooperieren und vertrauen lernen? Rivalität spornt den/die Held*in zu Höchstleistungen an, aber dann stellt sich heraus, dass die beiden Konkurrent(*inn)en zusammenarbeiten müssen? Gutes Material für Charakter- und Beziehungsentwicklung.
Es scheint, als seien die Eigenschaften, die wir traditionell mit Männern assoziieren, genau die Eigenschaften, die es braucht, um einen Plot voranzutreiben, im Großen wie im Kleinen. Z.B. sind Konflikte eine gute Methode, um Leben in Dialoge zu bringen, und da eignet sich ein männlich konnotierter (konfrontativer, direkter) Sprachstil weitaus besser als Dialogzeilen, in denen behutsam um das Problem herumgeredet und die Gefühle aller Anwesenden geschont werden. Und eine weibliche Hauptfigur, die in den Raum stolziert und im vollen Vertrauen auf ihre Kompetenz dafür sorgt, dass sich alle ihrem Kommando unterordnen, verschafft dem Buch außerdem Pluspunkte, weil eben nicht das Bild einer freundlichen, aber passiven Frau perpetuiert wird und es ein bisschen Wish Fullfillment für Leser*innen ist, die sich mehr Mut zum Anecken wünschen.
Dagegen sind die „weiblichen“ Stärken zwar eine wichtige Ergänzung zu den „männlichen“, und in der Regel sind sie es, die eine Figur erst sympathisch machen, aber es wäre eine Herausforderung, eine Hauptfigur nur mit diesen Stärken zu schreiben, weil diese sonst leicht zu nachgiebig erscheinen und den Plot nicht aktiv genug vorantreiben würde.

These 3: Kulturell verwurzelte Wertungen sind verantwortlich
Aber hatten Frauen wirklich nur Pech, als es darum ging, kulturelle Zuschreibungen von Rollen und Eigenschaften anzusammeln, sodass sie in der Regel „männlicher“ werden müssen, um gute Protagonistinnen abzugeben, während Männer sich nur hier und da bei ihren Stärken bedienen müssen, um zu differenzierteren, überzeugenderen Figuren zu werden? Oder ist hier noch etwas anderes im Spiel?
Ok, stellen wir uns mal Folgendes vor:
Unsere Gruppe von Fantasy-Abenteurern sitzt in der Wildnis an einem Lagerfeuer. Ihr Anführer, ein Mann mit markanten Zügen abgewetzter Kleidung und Augen, die tendenziell zu viel gesehen haben, erzählt ihnen von seinen vergangenen Reisen, während er a.) Socken strickt b.) Pfeile schnitzt.
Beides sind in dem Kontext sinnvolle Tätigkeiten (wer ist schon gerne mit kalten Füßen unterwegs?). Aber die eine Variante fühlt sich weitaus stimmiger an als die andere. Tatsächlich wird es oft als eine Art Witz oder als peinliches Geheimnis einer männlichen Figur behandelt, weibliche Vorlieben etc. zu haben. Selbst von Helden, an deren Mut kein Zweifel besteht, wird man wahrscheinlich kein „Fick dich, kulturelle Konvention, ich knuddele jetzt begeistert quietschend diese kleine Katze“ hören, und wenn er mal bei Haushaltstätigkeiten gezeigt wird, dann wird ein Protagonist wahrscheinlich eher etwas reparieren oder Holz hacken, als dass er putzt/ bäckt/ Wäsche wäscht.
Leider gibt es in unserer Gesellschaft eine Tendenz, typisch weibliche Tätigkeiten abzuwerten oder Tätigkeiten, die (unverdienterweise) wenig Respekt genießen, als typisch weiblich zu betrachten.(1) Zum Beispiel wird bei einem sauberen Flur oft davon ausgegangen, dass hier eine Raumpfleger in unterwegs war, und so wichtig z.B. Grundschullehrer*innen und Erzieher*innen für unsere Gesellschaft auch sind, würde niemand Arbeit in diesem (frauendominierten) Bereich als „Karriere machen“ bezeichnen. Vor einer Weile habe ich für Geistes- und Sozialwissenschaften die Bezeichnung „Frauengedöns“ gehört. „Frauenberufe“ sind anscheinend weich, vage, sozial und bringen ein bisschen mitleidige Achtung à la „lieb von dir, dass du das machst“, aber wenig echten Respekt (unabhängig von der Realität dieser Tätigkeiten).
Und das gilt auch für Eigenschaften und Vorlieben. Z.B. fallen mir einige YA-Romane ein, in denen eine Protagonistin mit ein paar männlich-nerdigen Hobbys und einer Tendenz, sich lieber praktisch als schick zu kleiden, entweder von einem Passepartout aus stereotyp femininen und damit als Hauptfiguren disqualifizierten Figuren eingerahmt wird, damit sie noch besonderer erscheint, oder aber eine tussihafte Neben-Antagonistin als Kontrastfolie erhält (welche mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auch irgendwann gerettet werden muss, weil sie nicht einmal eine kompetente Gegenspielerin ist.)
Einer meiner Geschichtsdozenten hat in einer Vorlesung von einer Umfrage unter Studenten erzählt, in der er fragte, welche der folgenden Menschen sie als potenziell attraktiv betrachten würden:
  1. Frauen in Frauenkleidern
  2. Männer in Männerkleidern
  3. Frauen in Männerkleidern
  4. Männer in Frauenkleidern
Ratet mal, was die einzige Gruppe war, mit der kaum jemand etwas anfangen konnte. Genau, vier. Passend dazu gibt es unzählige Geschichten über Frauen, die sich als Männer verkleiden, um etwas Bemerkenswertes zu erreichen, aber im umgekehrten Fall handelt es sich in der Regel um eine komische und/oder demütigende Szene (als Beispiel für Letzteres würde mir z.B. Irrwicht-Snape in den Kleidern von Nevilles Großmutter in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ einfallen).
Irgendwie drängt sich mir das Gefühl auf, dass wir männlich und weiblich Konnotiertes nicht unbedingt als gleichwertig sehen, schließlich gilt: Frau, die sich typisch männliche Stärken und Tätigkeiten zu eigen macht: stark. Mann, der typisch weibliche Stärken und Tätigkeiten übernimmt: schwach/ lächerlich. So weit ist es anscheinend nicht mit dem Respekt für „weibliche“ Verhaltensweisen her, wenn sie einem männlichen Protagonisten den Respekt des Publikums nehmen würden, sobald er auch nur ein bisschen zu viel davon an den Tag legte.

Unkonventionell starke Protagonisten
Und das ist schade, da es immerhin Protagonisten gibt, die stark wirken, gerade WEIL sie sich über die Erwartungen an ihr Geschlecht hinwegsetzen (und sie damit paradoxerweise wieder erfüllen, da ja eine der wichtigsten positiven traditionell – wenn auch nicht exklusiv – männlichen Eigenschaften Mut ist. Und diesen erfordert es, mit überlebten Traditionen zu brechen, wenn sie einen als Individuum zurückhalten).
Spoiler "Königsjäger" (Joe Abercrombie) Zum Beispiel lässt sich Brand, eine der beiden Hauptfiguren von „Königsjäger“ am Ende des Buches nicht von der Angst, als feige und unmännlich dazustehen, daran hindern, öffentlich Stellung gegen sinnloses Gemetzel zu beziehen. Spoiler Ende Auch „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ wurde dafür gelobt, dass mit Newt Scamander ein friedliebender, fürsorglicher Mann im Mittelpunkt steht.
Also mein Tipp für Autor*innen: Vielleicht wäre ein guter Weg, die Stärke eines Helden zu zeigen, ihn in einem Moment zu schildern, in dem er sich traut, eben nicht stereotyp männlich stark zu sein und die diesbezüglichen Erwartungen der Gesellschaft zu hinterfragen.

(1) Womit ich nicht leugnen will, dass es auch typisch männliche Berufe gibt, die, obwohl sie unverzichtbar sind, wenig Respekt erhalten.

Zwei interessante Links zum Thema:
Dieser Artikel auf „Mythcreants“ setzt sich damit auseinander, welche schädlichen stereotypen Darstellungen von Männern es gibt.
Red von "Overly Sarcastic Productions" redet in diesem Video über implizite Erwartungen an Protagonisten.

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. 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Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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