„The Malazan Book of the Fallen” – nicht perfekt, aber unglaublich interessant

Swantje Niemann • 6. Juni 2025
Die zehn Bände des

Meine erste Begegnung mit „The Malazan Book of the Fallen“ von Steven Erikson war in Form der Hörbuchfassung des ersten Romans. Da ich sehr oft gehört hatte, dass sie zunächst sehr verwirrend sei und alles erst später im Buch einen Sinn ergebe, habe ich also eine ganze Weile geduldig hin- und herspringenden Kapiteln zugehört – bis ich feststellte, dass mein MP3-Player die Tracks der ersten und zweiten CD durcheinander gewürfelt hatte und die Handlung bei weitem nicht so verwirrend ist, wie erst gedacht.  2023 habe ich bei meinem zweiten Versuch die Reihe beendet und fühle mich sehr bereichert von der Erfahrung. Gleichzeitig muss ich aber zugeben, dass sich die Lektüre stellenweise wie Arbeit angefühlt hat. Und das nicht nur, weil die Reihe insgesamt 10.683 Seiten hat.


Was ist das "Malazan Book of the Fallen"?

Bei der Dekalogie – auf Deutsch als „Das Spiel der Götter“ erschienen – ist eine dieser Reihen, um die man im englischsprachigen Raum kaum herumkommt. In Deutschland scheint sie sich zwar zu verkaufen (zumindest sehe ich die Bücher oft genug in Buchläden und es sind immer neue Bände der Übersetzung herausgekommen), aber ich sehe sie kaum diskutiert. Es ist auch eine Buchreihe, die ziemlich polarisiert – während einige Fans sie feiern und bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit empfehlen, finden andere sie mehr oder weniger unlesbar.


Worum geht es eigentlich?

Äh … hm. Zehn massive Bücher bieten viel Platz, und Erikson nutzt ihn voll aus, um ein Setting zu entwerfen, das sich in alle Richtungen ausdehnt. Die Handlung entfaltet sich auf mehreren Kontinenten und gelegentlich auch in den magischen „Warrens“ oder „Holds“ und der Zeithorizont der Reihe ist ähnlich beeindruckend. Der Großteil der – nicht chronologisch erzählten – Handlung findet zwar in einem vergleichsweise übersichtlichen Zeitfenster statt, aber es gibt auch immer wieder aus gutem Grund Rückblenden auf Ereignisse, die teilweise mehrere Jahrtausende zurückliegen, aber dennoch massiven Einfluss auf die Gegenwart haben. Unzählige Akteur*innen mit mehr oder weniger versteckten Agenden beeinflussen das Geschehen. Erikson hat seine eigenen, sehr spannenden Versionen klassischer Fantasy-Völker und einige sehr originelle komplett neue Gruppen und Wesen.

Die ersten vier Bände fungieren als eine Art Tetralogie: In Band 1 und 3 folgen wir einer Gruppe von Soldat*innen des Malazan Empire und ihren teilweise sehr ungewöhnlichen Verbündeten auf dem Kontinent Genabackis, Band 2 und 4 spielen auf dem Kontinent Seven Cities, wo sich Aufständische um eine geheimnisvolle Anführerin scharen, um die Vertreter*innen des Malazan Empire zu vertreiben. Bereits hier ist die Chronologie etwas exzentrisch: Das erste Viertel von Band 4 liegt chronologisch vor Band 2 und erzählt die Geschichte einer Figur, die wir dort zum ersten Mal sehen, um sie dann jedoch weiterzuerzählen. Und Band 5 spielt noch vor Band 1 und teilt nur wenige Figuren mit den anderen Büchern. Ab Buch sieben werden schließlich allmählich die angefangenen Fäden verwoben, aber es kommen auch immer neue Handlungsstränge und Subplots hinzu – tatsächlich bis kurz vor dem Ende des letzten Buches.

Im Hintergrund der Kämpfe der Sterblichen stehen die Gottheiten der Welt, wobei die Grenze zwischen Sterblichen und Gottheiten hier fließend ist – wir sehen Sterbliche aufsteigen und Götter ihre Macht verlieren. Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass ein Gott besonders zerstörerische Pläne hat und aufgehalten werden muss. Aber auch hier gibt es noch ein paar unerwartete Wendungen.

Der Fakt, dass die Reihe irgendwie alles mal thematisiert und das häufig auf eine interessante oder epische Weise macht, führt dazu, dass Malazan eigentlich bei so gut wie allen Fragen zu einem „Buch, in dem es um X“ geht, empfohlen wird. Allerdings mit der manchmal unausgesprochenen Einschränkung, dass sich Lesende erstmal durch sehr viel Buch wühlen müssen, dass mit „X“ nichts zu tun hat.


Was macht die Malazan-Romane so interessant?

Die Malazan-Reihe ist ehrgeizig, komplex, politisch, provozierend und in sehr vieler Hinsicht vielfältig. Das fängt bei der großen Diversität des Figurenensembles an – inklusive selten abgedeckte Achsen von Diversität wie zum Beispiel POV-Figuren mit geistigen Behinderungen –, aber auch Themen und Ton sind sehr abwechslungsreich. Ein großes Thema der Serie ist Mitgefühl. Aber es geht auch um Macht, Religion, Kapitalismus, Kolonialismus, Schuld, Vergebung und vieles mehr. Auch Geschichte und die Art, wie Menschen und die nicht-menschliche Welt aufeinander einwirken, werden immer wieder thematisiert - auf Tor-Online findet ihr zum Beispiel einen Artikel, den ich über MBOTF als Modell für das Erzählen des Anthropozän geschrieben habe. Teilweise ist die Serie sehr tragisch und konfrontativ, teilweise philosophisch und teilweise aber auch humorvoll bis albern. Diese drei Aspekte sind eng miteinander verflochten.

Ein weiterer Aspekt: Erikson wagt sich an viele unbehagliche Themen und geht gnadenlos mit seinen Figuren um, aber gefühlt immer mit der Grundeinstellung, dass einzelne Personen und ihr Leid wichtig sind. Ich empfehle, Content Notes für die Bücher zu googeln.

Es dauert manchmal eine ganze Weile, mit den Figuren warm zu werden, und bei manchen Figuren bleibt es ganz aus. Aber es gelingt der Reihe immer wieder, Lesende emotional zu packen. Einige Szenen sind bewegend genug, um sich mir dauerhaft eingeprägt zu haben, und genauso geht es mir mit vielen Zitaten. Denn Erikson wartet mit so einigen tiefgründigen Statements auf, die viel Relevanz für die Realität haben. Zu den Highlights der Bücher gehören bildgewaltig-epische Momente ebenso wie clevere, witzige Dialoge und bizarre Situationen ebenso wie emotionale Momente oder Schilderungen der Welt, die deren immenses Alter und deren Komplexität zeigen. Eriksons Hintergrund ist Archäologie und Anthropologie und das spiegelt sich im Weltenbau wieder.


Was macht die Romane manchmal frustrierend?

Die Buchreihe verlangt Lesenden einiges an Geduld und Vertrauen ab, da die Bücher oft längere Abschnitte haben, die sich verwirrend oder ziellos anfühlen, bis schließlich rückblickend alles einen Sinn ergibt. Und wie es bei einer Serie sein muss, die halb Epos, halb Anthologie ist, werden wahrscheinlich alle Lesenden auf Handlungsstränge und Figuren stoßen, mit denen sie nichts anfangen können. Es ist oft klar, was passiert, aber nicht, ob und warum es wichtig ist – Vordergrund und Hintergrund des Geschehens sind nicht so klar abgegrenzt wie in vielen anderen Büchern. Zum Ende der Reihe hin habe ich mich auch mehrfach bei dem Wunsch ertappt, dass der Autor lieber die bereits eingefügten Handlungsfäden verknüpfen statt neue hinzufügen würde.

Und während ich tatsächlich sehr mag, wie progressiv die Reihe in vieler Hinsicht ist (stilistisch und inhaltlich) und ihre Schilderungen von Freundschaften brillant finde, wird es bei bei Schilderungen von romantischen und/oder sexuellen Beziehungen und beim Humor manchmal ein bisschen boomerig. Das ist aber nicht immer der Fall. Es gibt auch ein paar romantische Beziehungen, die ich sehr gelungen geschildert finde. Dass die Serie auch nicht vor sehr aufwühlenden Themen wie sexualisierter Gewalt zurückschreckt, ist prinzipiell völlig in Ordnung und in vielen Fällen gelingt die Auseinandersetzung damit, aber nicht in allen.


Mein Fazit

Ich hatte nicht zu jedem Zeitpunkt 100 Prozent Spaß an der Lektüre, aber bin ungemein froh, die gesamte Reihe gelesen zu haben. Wenn ihr Geduld für eine massive Buchreihe aufbringt, die außerdem eigentlich mehrfach gelesen sein will, kann ich euch nur empfehlen, es mit dem „Malazan Book of the Fallen“ zu probieren. Die Reihe zeichnet ein gewaltiges, abwechslungsreiches Panorama einer fiktiven Welt, und speist sich auch aus viel empathiegetriebener Wut über den Zustand von unserer. Sie hat es geschafft, meine Vorstellung davon zu verändern, was eigentlich alles im Fantasy-Genre möglich ist, und bietet ungemein viel, worüber man nach der Lektüre noch lange nachdenken kann. Sie inspiriert mich auch, mir als Autorin Eriksons Mahnung „ambition is not a dirty word“ zu Herzen zu nehmen.


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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
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Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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