Buchhighlights 2025 - Teil 1

Swantje Niemann • 16. Juli 2025
Foto einer Bibliothek mit vielen Büchern in weißen Regalen.
2025 ist wieder ein erfolgreiches Lesejahr für mich – auch, weil ich in der zweiten Hälfte des letzten Jahres wieder zu einer begeisterten Bibliotheksnutzerin geworden bin und mir auf Libby ein (Hör)Buch nach dem anderen heruntergeladen habe. Ich habe dieses Jahr nur sehr wenige Bücher gelesen, bei denen ich die Zeit im Nachhinein lieber anders genutzt hätte, und es ist mir nicht leicht gefallen, mich für meine Highlights zu entscheiden. 

Mit „The God Is Not Willing” beginnt Steven Erikson eine neue Trilogie im ikonischen Setting des Malazan Book of the Fallen. Das Buch ist geradezu untypisch zugänglich und gradlinig, auch wenn einige Fragen offenbleiben. Wenig subtil, aber einprägsam setzt es sich mit Themen wie Klimaveränderungen, Vertreibung und verlorener Unschuld auseinander. Aber auch Situationskomik und skurrile Dialoge bleiben nicht auf der Strecke.

Auch Max Gladstone beginnt eine neue Serie in einem etablierten Setting: „The Craft Wars“ führt die Pfade der Figuren aus der „Craft Sequence“ zusammen, damit sie sich einer Bedrohung von außerhalb ihrer Welt stellen können. Das erste Buch, „Dead Country“, ist trotz dieses kosmischen Kontexts eine sehr intime Auseinandersetzung mit Trauer, Familie und einem Zuhause, in das keine Rückkehr möglich ist. In „Wicked Problems“ sehen wir mehr Akteur*innen und viel Action und das eine oder andere Klopfen an die vierte Wand. Die Bücher machen einfach Spaß, aber gleichzeitig sind die Figuren mit Empathie, Tiefe und Idealismus geschrieben.

Mithu Sanyals „Anti-Christie“ ist eine Explosion von Ideen, Informationen und überraschenden Nuancen. Der Plot verbindet Deutschland, das zeitgenössische London und das der Vergangenheit, wo indische Studierende den Aufstand gegen das British Empire planen. Es geht um Kolonialismus, Widerstand und Narrative und das Ganze ist bei allem Ernst der Thematik originell und witzig geschrieben, mit einer Abfolge bizarrer Situationen und sehr menschlichen Figuren voller Widersprüche. Das Buch war übrigens auch für einen Phantastik-Preis nominiert, was mich zuerst überrascht hat, aber was ich auf den zweiten Blick sehr cool finde – eine nette Erinnerung daran, was Phantastik sein kann, wenn sie sich nicht an Genre-Konventionen entlanghangelt.

Zusammen mit dem Cover lässt der Title von Sunyi Deans „The Book Eaters“ eine gemütliche Geschichte erwarten, aber das Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich um actionreiche Urban Fantasy mit originellem Worldbuilding und eine aufwühlende Auseinandersetzung mit patriarchaler Gewalt und moralischen Kompromissen im Namen der Liebe.

Mit „Labyrinth’s Heart“ endet die „Rook and Rose“-Trilogie von M.A. Carrick und es handelt sich um einen starken Abschluss, auch wenn sich das Verknüpfen aller loser Fäden sehr lange hinzieht. Wieder strahlen der vielschichtige Weltenbau, der starke emotionale Kern der Geschichte und die Auseinandersetzung mit verwandter und gewählter Familie und komplizierten Identitäten.

„A Half-Built Garden“ von Ruthanna Emrys ist ein großartiger First-Contact-Roman voller Queerness und Hoffnung für die Zukunft der Menschheit, mit spannenden, konkreten Ideen, wie die Bewohnbar-Haltung der Erde aussehen könnte. Ich bin auch ein großer Fan davon, wie die Autorin den Alien-Romance-Subplot gehandhabt hat.

„Die Elenden“ von Victor Hugo ist ein massiver Schinken von einem Buch, aber definitiv der Lektüre wert – insbesondere, wenn man Abschweifungen mag. Ich fand auch den geschwätzigen allwissenden Erzähler sehr erfrischend, weil der Großteil zeitgenössischer Literatur ja im Kontrast dazu den Abstand zwischen Leser*in und Figuren möglichst minimiert.

Ein weiterer Klassiker, den ich nun endlich gelesen habe, ist Franz Kafkas „Metamorphose“. Es handelt sich um eine kurze Geschichte, die sich ins Gedächtnis schreibt, und in der ich persönlich eine Auseinandersetzung mit Ableismus lese.

„Im Minus-Bereich“ von Jana Costas ist ein Bericht über die bewusst verborgene Welt der Menschen, die öffentliche Räume, Büros und dergleichen sauber halten. Die Autorin begleitet sie bei ihrer Arbeit und schreibt über die „Dramen der Würde“ die sich in ihrem Arbeitsalltag abspielen.

„A Paradise Built in Hell” von Rebecca Solnit eröffnet eine überraschende Perspektive darauf, wie Menschen auf Katastrophen reagieren und berichtet anhand mehrerer Beispiele von Kooperation, Gemeinschaft und Gleichheit und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit durch gegenseitige Hilfe. 

Arne Semsrotts „Machtübernahme“ ist ein unangenehm aktuelles, dabei aber sehr hilfreiches Buch: Es schlüsselt auf, was im Fall einer AfD-Regierung passieren kann, aber vor allem auch, was Menschen in verschiedenen Positionen zur Prävention und als Widerstand tun können. Es bezieht entschieden Stellung und gibt konkrete Tipps.

Amitav Ghosh kenne ich dank „Die große Verblendung“ und in „Der Fluch der Muskatnuss“ greift er das Thema Klima- und Umweltzerstörung und dessen Verbindung mit unseren Erzählungen über die Welt noch einmal auf und verbindet es mit einer Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen des Kolonialismus. Ich gehe nicht mit allen Schlussfolgerungen konform, aber es ist ein ehrgeiziges Buch voller Denkanstöße.

„Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ von Ronen Steinke ist kurz und zugänglich geschrieben und zeigt auf, wie arme Menschen vor Gericht durch eine Kombination aus Vorurteilen und institutionellen Faktoren wie der Gestaltung von Prozessen benachteiligt werden. Besonders gut gefallen hat mir, dass das Buch mehrere konkrete Verbesserungsvorschläge beinhaltet.

Das in Rot- und Grau-Tönen gehaltene Cover von
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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28. Dezember 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20. November 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 4. November 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
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