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Erfahrungsbericht: Ein LARP entwickeln

Swantje Niemann • Nov. 20, 2023
Bild einer Mindmap

In meinem letzten Post zu „Königsgift“ – einem Roman von 10 Autor*innen – habe ich über ein großes kollaboratives Projekt erzählt, das ich dieses Jahr beendet habe. Aber es war nicht das einzige. Zwischen Juli und November 2023 habe ich auch zusammen mit einem großen Team daran gearbeitet, ein zweitägiges LARP zu entwickeln, vorzubereiten und schließlich durchzuführen.


Für diejenigen, die den Begriff zum ersten Mal hören: LARP steht für Live Action Role Playing und beschreibt Rollenspiel, bei dem Leute eine Rolle verkörpern und flexibel aufeinander reagieren. Es hat ein bisschen was von Theater, nur, dass es kein Drehbuch und kein Publikum gibt. Die Grundsituation und Impulse für die Handlung kommen von der Spielleitung, aber die Entscheidungen der Spielenden tragen entscheidend dazu bei, wie alles ausgeht. Häufig denken sich die Spielenden relativ frei die Figur aus, die sie verkörpern, manchmal bekommen sie aber auch eine Rolle. Letzteres war bei uns der Fall.


Das LARP-Projekt, an dem ich beteiligt war, ist ein LARP des Waldritter e.V., einer Organisation, die unter anderem LARP als Vehikel nutzt, um Leute an politische Themen heranzuführen – und die dafür mit einem ehemaligen Kaufhaus in Herten, das nun zu einer Art Raumschiff umgebaut ist, ein tolles Ambiente zur Verfügung stellt. Unser LARP war als humorvoll satirisches LARP angelegt, dass jedoch auch einige ernste Themen berührt. Die Idee und die Grundlagen des LARP entstanden im Sommer im „LARPWriter Summercamp“ und anschließend ging der Austausch über eine Vielzahl von virtuellen Meetings weiter.


Während der Entstehungsprozess von „Königsgift“ linear war – das Manuskript machte die Runde und wurde in jedem Schritt von jeweils einer Person um ein Kapitel erweitert –, passierte bei unserem LARP vieles gleichzeitig und in ständigem Austausch. In einer Google-Ablage sammelten sich allmählich lange Dokumente zu Worldbuilding, Spielmechaniken sowie die Hintergründe und Verknüpfungen aller Figuren und lange To-Do-Listen, welche Gegenstände wir brauchten und wie die Räume vorbereitet werde mussten Am Ende hatten wir mehr als 30 Figuren.


Das Ganze war sehr intensiv, aber hat auch viel Spaß gemacht. Ein LARP zu schreiben ist völlig anders, als einen Roman zu schreiben – teilweise auf eine Weise, die mir ganz angenehm ist. Denn ich denke mir gerne Settings und Figuren aus, aber finde das Entwickeln eines tatsächlichen Plots schwieriger. Bei einem LARP kann man eine interessante Ausgangssituation schaffen, Plots und Subplots und dann sehr viel den Spielenden überlassen. Und während Romane schreiben trotz aller Beteuerungen in Danksagungen meistens doch ziemlich einsam ist und daraus besteht, lange an einem Projekt zu schreiben und dann lange auf Rückmeldung zu warten, war dieser Prozess von Anfang bis Ende Teamarbeit.


Ein weiterer Aspekt, der ein LARP von einem Roman unterscheidet: Die Figuren werden von echten Menschen gespielt, die – in diesem Fall für etwa anderthalb Tage – in ihre Rollen eintauchen. Entsprechend wichtig ist es auch, dafür zu planen, dass es ihnen gut geht, dass sie zum Beispiel genug Zeit zum Schlafen und Essen und auch Rückzugsräume außerhalb des Spiels haben. Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang damit, dass man es bei einem LARP mit echten Menschen zu tun hat: Leute, die es wegen Krankheit und anderen Gründen nicht zum LARP schaffen, was gerade bei einigen wichtigen Figuren Lücken in die angelegten Plots zu reißen droht. Zudem sorgtn die vorhandenen Räume, die technische Ausstattung, die Requisiten und das Budget für die Möglichkeiten und Grenzen, um die herum wir geplant haben.


Bevor es am 10. November losging, war noch einiges zu tun. Aber wir sind rechtzeitig mit allen Vorbereitungen fertig geworden. Es war ein tolles Erlebnis, die Spielenden zu sehen, die sich als ihre Figuren verkleidet hatten und ihre Interpretation der Rollen mitzubekommen. Ich war selbst als Nicht-Spieler-Charakter (NSC) dabei, also als Figur, die in erster Linie dafür da ist, für die Spielleitung alles im Auge zu behalten und für Handlungsimpulse und Atmosphäre zu sorgen. Meine Erfahrung ist, wenig überraschend, dass ich deutlich mehr Spaß am Entwickeln von Figuren und Situationen habe als daran, tatsächlich selbst eine Rolle zu spielen. Und zu ersterem werde ich wahrscheinlich auch in Zukunft kommen, weil ich mich schon in die nächste LARP-Planung habe verwickeln lassen.


Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28 Dez., 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Cover des Romans
von Swantje Niemann 04 Nov., 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Die Bücher
von Swantje Niemann 22 Apr., 2023
Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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