Meine Bücher des Jahres 2023

Swantje Niemann • 28. Dezember 2023

Ich habe dieses Jahr wieder eine Menge guter Bücher gelesen. Hier sind ein paar Empfehlungen.

Die vier Bücher

Sachbücher

Richard Thompson Ford: Dress Codes

„Dress Codes“ beleuchtet die Geschichte von Mode und ihre enge Verflechtung mit Ideen über Geschlecht, Zugehörigkeit und Status über mehrere Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart hinein. Detailreich, unterhaltsam und aktuell enthüllt das Buch spannende Details über den Alltag in der Vergangenheit und Gegenwart und ordnet diese in einem größeren historischen Kontext ein. Besonders interessant fand ich unter anderem den Teil über die symbolische Rolle der Kleidung Schwarzer Aktivist*innen in der USA in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart.


Paul Craddock: Spare Parts

“Spare Parts” ist ebenfalls ein Buch, das einen bestimmten Gegenstand über mehrere Epochen hinweg begleitet. In diesem Fall geht es um die Geschichte der Transplantationschirurgie, die überraschend früh ihren Anfang nahm. Craddock erzählt von der Weiterentwicklung des Wissenstands über und der technischen Möglichkeiten für Transplantationen und beschreibt ihre Wechselwirkung mit dem Blick, den Menschen auf ihre Körper haben.


Carmilla Townsend: Fifth Sun

„Fifth Sun“ war ein interessanter Einblick in ein Thema, mit dem ich mich bisher kaum auskannte: Die Geschichte der Mexíca (Fremdbezeichnung: Azteken) vor und nach der Eroberung durch Spanien. Townsend nutzt als Grundlage ihrer Darstellung Texte, die von von Mönchen ausgebildeten Mexíca verfasst wurden, also lateinische Schrift und die historiografische Tradition der Mexíca zusammenführen.


Patrick Wyman: The Verge - Reformation, Renaissance, and Forty Years that Shook the World

“The Verge” erzählt die Geschichte Europas im Zeitraum von 1490 bis 1530 und hebt diesen als wichtigen Wendepunkt der Weltgeschichte hervor. Anhand von zehn historischen Figuren schreibt Wyman über Buchdruck, Globalisierung, Steuern, Religion und vieles mehr. Bei den Figuren handelt es sich um Herrscher*innen und „Entdecker“ ebenso wie um Kaufleute oder Buchdrucker. So entsteht ein spannendes, zugängliches Buch, das großen Zusammenhängen greifbare Gesichter gibt. Die eigentliche Hauptfigur von „The Verge“ ist mehr oder weniger das Kapital.


Eduardo Galeano: Open Veins of Latin America

“Open Veins of Latin America” ist ein Klassiker zum Thema Kolonialismus. Der Autor erzählt darin wütend und detailreich von der Ausbeutung Lateinamerikas. Die genaue Gestaltung der Einflussnahme anderer Länder habe sich mit der Zeit geändert, die fehlende Selbstbestimmung und der Abfluss wichtiger Ressourcen nicht.


Mithu Sanyal: Über Emily Bronte

Mithu Sanyals Buch bietet eine lesenswerte Perspektive auf Emily Bronte und ihren Klassiker „Sturmhöhe“. Es geht sowohl um die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Buches als auch um Sanyals persönlichen Zugang dazu. Definitiv bereichernde Lektüre.


Peter Dausend, Horand Knaup: Alleiner kannst du gar nicht sein

„Alleiner kannst du gar nicht sein“ ist eine Serie von interessanten Einblicken in die Lebenswelt von Abgeordneten – darüber, wie Abläufe im Bundestag funktionieren, mit welchen Privilegien und Belastungen die Tätigkeit als Abgeordnete*r einhergeht und wie schwer es sein kann, anschließend wieder in den Alltag zurückzufinden. Neben den teilweise sehr persönlichen Portraits liefert das Buch auch eine Menge Information über die Institutionen der deutschen Politik.


Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit

Thomas Piketty wollte mit “Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ ein zugängliches Buch über (Un)Gleichheit schreiben und das ist ihm gut gelungen. Das Buch liefert eine spannende historische Betrachtung von lang nachwirkenden Ungerechtigkeiten ebenso wie überraschenden Entwicklungssprüngen, was Gleichheit und politische Teilhabe betrifft. Darüber hinaus macht Piketty konkrete Vorschläge für die Zukunft.


Romane

Peter McLean: War for the Rose Throne 3 und 4

Dieses Jahr habe ich mit „Priest of Gallows“ und „Priest of Crowns“ die letzten beiden Bände der „War for the Rose Throne“-Reihe gelesen. Die Grimdark-Tetralogie um einen Gangster-Boss, der mehr und mehr in die höchsten politischen Zirkel seines Landes hineingezogen wird, überzeugt vor allem durch die unverkennbare Stimme des Protagonisten und Ich-Erzählers. Seine Persönlichkeit durchdringt jede Zeile – und alles, was zwischen den Zeilen steht.


Max Gladstone: The Craft Sequence

Ich bin 2023 auch endlich dazu gekommen, Max Gladstones „Craft Sequence“ zu Ende zu lesen. Die Serie aus sechs ineinander verflochtenen Romanen schildert eine von Magie und den Kräften von Gottheiten durchdrungene Welt, die sich trotzdem in mehrfacher Hinsicht analog zu unserer entwickelt hat. Bildgewaltig erkundet sie Kompromisse und Widerstand in einer von ökonomischer Ungleichheit und mächtigen Institutionen geprägten Welt.

 

Malcolm Devlin: And then I Woke up

“And then I Woke Up” ist eine clevere Horrornovelle, die dem Subgenre der Zombie-Epidemie einen ungewöhnlichen Twist gibt. Ich will ihn nicht vorwegnehmen, aber er ermöglicht es der Geschichte, aktuelle Themen wie drastisch divergierende, manchmal komplett unvereinbare Wahrnehmungen der Realität in verschiedenen Bubbles und deren gefährliche Auswirkungen zu beleuchten. Auf der persönlichen Ebene geht es viel darum, wie Figuren mit ihrer Schuld umgehen.   


Christopher Buehlmann: Between Two Fires

Ein weiterer Roman, den ich dieses Jahr sehr gerne gelesen habe, ist Christopher Buehlmanns „Tale of Medieval Horror“, in dem ein gefallener Ritter sich plötzlich als Beschützer eines Mädchens mit einer göttlichen Mission wiederfindet, während das Land um sie herum nicht nur von der Pest, sondern auch von übernatürlichen Übeln heimgesucht wird. Darunter sind Monster, die ich mir tatsächlich gut in den Marginalia eines mittelalterlichen Manuskripts vorstellen könnte. „Between Two Fires“ ist düster und geht stellenweise sehr brutal mit seinen Figuren um, aber hat einen hoffnungsvollen, versöhnlichen Kern. Ich habe beim Lesen mit den Figuren mitgefiebert und ihnen ein Happy End gewünscht.


Jaroslav Kalfař: Spaceman of Bohemia

“Spaceman of Bohemia” ist ein kurzer, literarischer Science-Fiction-Roman über einen tschechischen Astronauten, der ein merkwürdiges Phänomen im Weltall erkunden soll. Die Erzählung seiner Erlebnisse im Weltraum ist eng verflochten mit seiner Familiengeschichte und der Geschichte seines Landes. Es geht um Schuld und nationale Identität und vieles mehr und stellenweise bleibt mehrdeutig, was nun wirklich passiert. (Überraschenderweise soll nächstes Jahr eine Netflix-Filmadaption für das Buch herauskommen, womit ich angesichts der teilweise sehr introspektiven Natur des Ganzen nicht gerechnet hätte).


Nghi Vo: The Empress of Salt and Fortune

“The Empress of Salt und Fortune” ist eine ruhige Novelle, die auf ihrer kurzen Seitenzahl viel Atmosphäre, Spannung und interessante Figurencharakterisierung mitbringt. Kleriker*in Chih interviewt darin eine Frau, deren Geschichte eng mit der einer berühmten Kaiserin verwoben war, und erfährt eine überraschende Enthüllung nach der anderen. Die Geschichte entfaltet sich in einem spannenden, ostasiatisch inspirierten Setting.


T. Kingfisher: Saint of Steel

Horror ist nicht das einzige Genre, in dem ich dieses Jahr mehr als sonst gelesen habe. Ich habe auch mal in Fantasy-Romance reingeschnuppert. Viele Bücher des Genres sind eher nicht mein Ding, aber T. Kingfishers „Saint of Steel“-Series war eine echte Entdeckung. In den Büchern geht es um die letzten Überlebenden eines Ordens von Paladinen, die ihren Gott verloren haben und nun desorientiert nach ihrem Platz in der Welt suchen.

Nacheinander finden sie neue Partnerschaften. Der Weg dahin ist aufgrund der Selbstzweifel der Figuren manchmal unnötig lang, aber alle Paare in der Reihe sind liebevoll geschrieben und es ist absolut glaubwürdig, dass sie sich ineinander verlieben. Es gibt viele witzige Dialoge und der „Order of the White Rat“, dem einige sehr coole Nebenfiguren angehören, ist eine Institution, wie sie in Fantasy-Romanen selten im Rampenlicht steht: eine Fraktion von Leuten, die langsam, stetig und pragmatisch Dinge um sich herum verbessern.

 

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen

Shida Bazyar erzählt in “Drei Kameradinnen“ die Geschichte dreier sehr verschiedener Freundinnen – und thematisiert durch die Ich-Erzählerin neben Themen wie Migrationsgeschichte, Gentrifizierung, Rassismus, Klassismus, Traumata, Freundschaft und Solidarität auch immer wieder den Akt des Erzählens an sich.


M.A. Carrick: The Mask of Mirrors

“The Mask of Mirrors” geht es um Ren, die sich vor dem Hintergrund eines schillernden, gut entwickelten Settings den Weg in eine Adelsfamilie erschwindeln will und dabei in ein sehr gefährliches politisches und magisches Ränkespiel verwickelt wird. Es dauert nicht lange, bis man beim Lesen mit den verschiedenen Figuren mitfühlt und sich fragt, welche Geheimnisse sie alle verstecken. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir das liebevolle Worldbuilding mit einem besonderen Fokus auf den beiden Kulturen, die sich die Stadt teilen, in der das Buch spielt.


Brian McClellan: In the Shadow of Lightning

Brian McClellan übernimmt für “In the Shadow of Lightning” eine Menge Dinge, die bereits in den Powder-Mage-Büchern gut funktioniert haben wie zum Beispiel die verschiedenen PoV-Figuren mit jeweils verschiedenen Spezialisierungen, durch die viel Abwechslung in die Geschichte kommt. Wieder spielt ein neu ausgedachtes Magiesystem eine große Rolle, aber nie zu dem Punkt, wo es interessantere Elemente der Handlung oder Charakterisierung der Figuren verdrängt. Ein paar Punkte, die mich besonders angesprochen haben, war, wie gut die Figuren zusammenarbeiten, und die Gestaltung von einer der Hauptfiguren: Nachdem ein traumatisches Ereignis das Selbstvertrauen des jungen Politikers Demir zutiefst erschüttert hat, muss er Jahre später sein altes Leben anknüpfen und Verantwortung übernehmen, was er auch gut, aber eben mit einer neuen Verletzlichkeit macht.


Saša Stanišić: Herkunft

„Herkunft“ ist nicht nur ein emotionales und für die Gegenwart sehr relevantes autobiografisches Buch über die Komplexität von Migrations- und Fluchterfahrung, Identität und Erinnerung, sondern macht trotz der ernsten Themen auch einfach Spaß. Stanišić bricht wieder und wieder auf der Mikro- und Makroebene mit Erwartungen und erzählt witzig und formal innovativ.


Sonstige Empfehlungen (keine Bücher)

The Many Meanings of Bloodborne

Ich habe über längere Zeit T.B. Skyens ausgezeichnete Mischung aus Spiel-Stream und Analyse zu „Bloodborne“ verfolgt und habe auf die abschließende Episode, „The Many Meanings of Bloodborne“, gewartet, weil ich es immer sehr spannend finde, was verschiedene Leute aus Kunst mitnehmen. Ich habe mich sehr gefreut, dass sie dieses Jahr herausgekommen ist.


The Gamification of Public Discourse

The Gamification of Public Discourse” ist ein spannender Vortrag des Philosophie-Professors C. Thi Nguyen. Nguyen verbindet darin seine Gedanken zu der Verführungskraft von Vereinfachungen, Echo Chambers, Filter Bubbles, Gamifizierung und „moral outrage porn“ zu einer ziemlich guten und sympathisch präsentierten Analyse, was bei öffentlichem Diskurs schiefgehen kann. Einiges fühlt sich aus anderen Auseinandersetzungen mit dem Thema vertraut an, aber Nguyen fügt einige neue, sehr anregende Überlegungen hinzu.

Link

Grimdark Magazine

Ich habe die letzten Tage genutzt, um die Ausgaben des Grimdark Magazine zu lesen, die ich heruntergeladen hatte, nur um sie zu vergessen – und ich bin froh darüber. Die Literaturzeitschrift liefert solide bis ausgezeichnete Kurzgeschichten, spannende Interviews und Rezensionen und auch das eine oder andere gute Essay. (Bei den Essays stört mich allerdings manchmal der defensive Ton – ich glaube nicht, dass sich Leser*innen und Autor*innen düsterer Phantastik vor Leuten rechtfertigen müssen, die eine Literaturzeitschrift namens „Grimdark Magazine“ abonnieren.)

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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20. November 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 4. November 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
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