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"Das Buch der Augen" ist da!

Swantje Niemann • Okt. 15, 2021
Offene Kiste mit mehreren Exemplaren von

Noch früher als erwartet ist mein erster Urban-Fantasy-Roman, „Das Buch der Augen“, im Handel. In diesem Roman habe ich eine sehr alte Idee realisiert: Ich wollte die Geschichte einer Protagonistin erzählen, die begreift, dass das beängstigende, übernatürliche Geschehen um sie herum keine Einbildung ist – aber dass sie sich trotzdem Sorgen um ihre Psyche machen sollte.

„Das Buch der Augen“ erzählt die Geschichte der 21-jährigen Renia, die langsam begreift, dass die anderen Welten und dämonischen Wesen, die sie sich vermeintlich nur eingebildet hat, real sind und dass sich ein Monster an ihre Fersen geheftet hat. Sie lernt auch, dass sie gegen die Dämonen kämpfen kann, aber gleitet nahezu unmerklich mehr und mehr in eine Anorexie-Erkrankung ab, die ihr ebenso zum Verhängnis werden könnte wie ihr übernatürlicher Verfolger. An anderer Stelle habe ich den Roman als eine Geschichte über „Albtraum-Multitasking“ beschrieben.


Eine Frage, die sich vielleicht aufdrängt, ist, ob es mir nicht zu persönlich war, einen Roman mit einer Protagonistin zu schreiben, mit der ich eine (in meinem Fall glücklicherweise überwundene) psychische Erkrankung teile. Doch wie ich auch im Buch selbst schreibe: So originell sind die Gedanken und Symptome, die ich im Griff meiner Essstörung hatte, nicht – ich habe also nicht das Gefühl, allzu viel über mich spezifisch preiszugeben. Dennoch glaube ich, dass meine persönliche Erfahrung mit dem Thema eine Bereicherung für das Buch ist.


Diese Grundidee hat mehrere Iterationen durchlaufen, bis ich schließlich bei der Variante gelandet bin, die ab heute gekauft oder bestellt werden kann. Mein erster Entwurf war teilweise noch stark von früheren Visionen zu Setting und Atmosphäre geprägt – z.B. hatte ich eine Zeitlang die Idee, Renia, aber auch vielen anderen Monsterjäger*innen weitaus mehr Erfahrung und Selbstbewusstsein bei ihrer Arbeit zu geben, und auch wenn ich entschied, die Ungewissheit und Angst der Figuren zu betonen und Renia eben nicht zu einer abgebrühten Monsterjägerin zu machen, gab es ein paar Sätze, in denen noch diese ältere, nie geschriebene Version des Buches anklingt. Das habe ich dann im Verlauf des Überarbeitungsprozesses abgeändert.

Eine weitere Überarbeitung war, dass ich wieder und wieder Komplexität reduziert habe. Während es in den Drúdir-Romanen oft um zahlreiche Fraktionen, alle mit ihrer eigenen Agenda und ihren eigenen Widersprüchen, geht, und eine große Rolle spielt, wer wann welche Information hat, ist „Das Buch der Augen“ sehr gradlinig. Es ist die Geschichte einer Ich-Erzählerin und zweier sehr symmetrischer, ineinander verwobener Konflikte. Ohne dass ich es beabsichtigt hätte, schmiegt sich das Buch eng an die Struktur der klassischen Heldenreise.

Ein Teil von mir ist nicht so richtig zufrieden damit, hätte gerne eine verschlungenere Struktur, mehr unerwartete Wendungen, mehr Demonstrationen meiner Cleverness als Autorin eingebaut, aber ich denke, da war auch etwas an dieser Idee, das nach mehr Einfachheit, mehr Aufrichtigkeit, gerufen hat. 

Ich fand auch die Umstellung von High auf Urban Fantasy interessant und herausfordernd, denn auch wenn das Anknüpfen an eine vertraute Welt und ihre Grundannahmen Vorteile hat, bedeutet es auch, dass ich nicht länger das gesamte Worldbuilding kontrolliere und bestimmte Fragen beantworten muss, die sich Lesenden aufdrängen, zum Beispiel, was Dämonenjagende zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte gemacht haben und warum die Welt im Großen und Ganzen unverändert von ihren durchlässigen Grenzen zu anderen Welten ist. 


Der Großteil des Romans entstand während des NaNoWriMo (National Novel Writing Month, ein Event, bei dem man sich vornimmt, im November 50.000 Wörter zu schreiben) 2019, beendet habe ich das Manuskript im Januar 2020 und jetzt, im Oktober 2021, kommt es schließlich heraus. Zwischendurch ist es durch die Hände mehrerer Test- und Sensitivity-Leser*innen gegangen, sodass die Arbeit nicht wirklich geruht hat, aber ich bin dennoch immer wieder ein wenig überrascht, wie weit das Beenden eines Manuskripts und die Veröffentlichung eines Buches auseinanderliegen können. Noch mehr habe ich das jedoch bei früheren Büchern gemerkt – noch bevor Drúdir 2 erschien, hatte ich bereits Teil 3 beendet, und auch jetzt merke ich wieder eine gewisse Distanz. Es ist seltsam, in Gedanken schon mindestens ein Buch weiter zu sein, wenn der aktuelle Roman für Lesende noch das glänzende neueste Werk ist.

Aber manchmal ist es auch ein Glück, dass sich in der Buchproduktion vieles langsam bewegt (wenn auch nicht die Dinge, die man erwarten würde – zwischen Druckfreigabe und Auslieferung vergeht z.B. sehr wenig Zeit). Thematisch passend zu „Das Buch der Augen“ haben sich bei mir im Verlauf von 2020 und 2021 gesundheitliche Probleme (immerhin neue) gezeigt und stetig verstärkt, sodass an kreative Arbeit kaum zu denken war. Wäre das Buch nicht längst geschrieben gewesen, hätte ich es nicht zum geplanten Termin liefern können. Aktuell kann ich wenig darüber sagen, wie es bei mir karrieremäßig weitergeht, aber ich hoffe, im kommenden November endlich wieder an einem neuen Projekt arbeiten zu können.


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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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