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Rezension: Elizabeth Bear - Range of Ghosts (The Eternal Sky, Buch 1)

Swantje Niemann • März 20, 2018

Atmosphärische, asiatisch inspirierte Fantasy.


Klappentext

Temur, grandson of the Great Khan, is walking from a battlefield where he was left for dead. All around lie the fallen armies of his cousin and his brother who made war to rule the Khaganate. Temur is now the legitimate heir by blood to his grandfather’s throne, but he is not the strongest. Going into exile is the only way to survive his ruthless cousin.

Once-Princess Samarkar is climbing the thousand steps of the Citadel of the Wizards of Tsarepheth. She was heir to the Rasan Empire until her father got a son on a new wife. Then she was sent to be the wife of a Prince in Song, but that marriage ended in battle and blood. Now she has renounced her worldly power to seek the magical power of the wizards.

These two will come together to stand against the hidden cult that has so carefully brought all the empires of the Celadon Highway to strife and civil war through guile and deceit and sorcerous power.


Handlung

Temur, einer der zahlreichen Söhne des Großkhans des Reitervolks der Quesnyk, wurde nach dessen Tod in die Kämpfe um dessen Nachfolge verwickelt, obwohl er selbst keinerlei politischen Ehrgeiz hat. Nur knapp überlebt er eine verheerende Schlacht, aus der sein Bruder, den er unterstützt hat, als Verlierer hervorgeht. Inkognito schließt er sich einem Zug aus Flüchtlingen an, die das Herrschaftsgebiet seines Cousins, der sich als Khan etablieren will, verlassen wollen. Dort lernt er die junge Frau Edene kennen, in die er sich verliebt. Doch weder sein Cousin noch dessen Verbündete – Angehörige der Sekte der Rahazeen, die ihm mit dunkler Magie beistehen – haben ihn vergessen. Sie zwingen die Seelen der unbestatteten Toten, ihnen zu dienen und das Lager der Flüchtlinge anzugreifen. Hilflos muss Temur mitansahen, wie Edene von Geistern entführt wird. Er schwört, sie entweder zu retten oder zu rächen.

Dabei kreuzt sein Weg sich mit dem der Zauberin Samarkar, die von ihrem Orden als Kundschafterin ausgeschickt wurde. Samarkar hat sich den Zauberern angeschlossen, um mit ihrer bewegten Vergangenheit als Prinzessin des Reiches Rasa abzuschließen und von ihrem ehrgeizigen Bruder weder als Bedrohung noch politischer Spielball gesehen so werden. Doch sie wird später feststellen müssen, dass sie noch immer in die Politik ihrer Familie verstrickt ist.

Sie findet heraus, dass die Rahazeen eine Bedrohung für alle Reiche sind. Zusammen mit Temur macht sie sich auf den Weg, um Verbündete gegen sie zu suchen. Doch die beiden haben es mit mächtigen, vorausschauenden Gegnern zu tun.

Durch Temurs und Samarkars Augen lernen die Leser eine Welt kennen, die auf dem Zentralasien des späten Mittelalters basiert. Dieser Raum war bereits in der realen Welt faszinierend, trafen hier doch die Kulturen der Mongolen, der Chinesen und der islamischen Welt, die alle ihre Gegenstücke im Roman haben, aufeinander. Doch in Bears Universum kommt durch Mythologie und Magie (sie hat vielen Kulturen neue Religionen gegeben) eine weitere Dimension hinzu: Jedes Herrschaftsgebiet hat wortwörtlich seinen eigenen Himmel. Der der Quesnyk ist z.B. höher und trägt einen Mond für jedes Mitglied der Herrschaftsfamilie. Und auch die Götter der verschiedenen Kulte scheinen real zu sein und ins Geschehen einzugreifen, auch wenn es manchmal mehrdeutig ist, wo sie Einfluss genommen haben.

Sowieso sind die Grenzen zwischen Magie, Wissenschaft und Religion in „Range of Ghosts“ fließend. Gerade die Zauberer, wie Samarkar einer ist, sind eine Mischung aus Alchemisten, Magiern und Naturwissenschaftlern. Es gibt viele verschiedene Arten von Magie. Details wie die Existenz von Nebeldrachen oder Rukh-Vögeln sind teils handlungsrelevant, teils einfach Beiträge zu einem schillernd-phantastischen Panorama.


Figuren

Temur betritt die Bühne als sehr sympathischer, aber nicht sehr einprägsamer Charakter, woran sich über weite Teile des Buches wenig ändert, auch wenn er zum Ende hin leidenschaftlicher und aktiver wird. Von Samarkar hingegen erfährt man mehr und lernt sie schnell für ihren Mut und Lerneifer schätzen. Ihre Vergangenheit hingegen bleibt ein Rätsel. Erst spät wird Temur enthüllt, was geschehen ist, aber ganz befriedigend ist es nicht, da die Leser nicht dazu kommen, Samarkars Version der Ereignisse zu hören.

„Range of Ghosts“ verfügt über ein Ensemble gut gezeichneter, spannender Nebenfiguren. Da ist z.B. die Tigerfrau Hrahima, bei der die Autorin nur allzu leicht in die Falle hätte tappen können, sie darauf zu reduzieren, dass sie Angehörige einer exotischen Fantasy-Spezies und eine furchteinflößende Kämpferin ist. Doch stattdessen ist Hrahima ein voll entwickelter Charakter mit dem interessanten Konflikt, dass sie in einer Welt, in der das Wirken der Götter mehr oder weniger eine Tatsache ist, Agnostikerin ist und sich gegen die Idee eines Schicksals zur Wehr setzt. Eine weitere gelungene Figur ist Edene, die plastisch und einnehmend gezeichnet ist und keineswegs passiv auf Rettung wartet. Das sind nur zwei Beispiele.

Die Rahazeen und ihr Anführer al-Sepehr wirken mysteriös und gefährlich, auch wenn ein wenig unklar ist, was sie eigentlich wollen.

Bears Figuren sind zwar einerseits besonders, andererseits aber auch sehr menschlich und damit in ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen eingeschränkt und keineswegs in der Lage, die Erfahrungen, die sie machen, einfach wegzustecken. Ihre Interaktion ist sensibel und voller Aufmerksamkeit für aussagekräftige Details geschildert.


Stil

Elizabeth Bear webt poetische Beschreibungen und Informationen über die Welt in die Handlung ein, ohne diese dadurch zu verlangsamen. Die Sprache von „Range of Ghosts“ ist auffallend schön zu lesen und lässt im Kopf des Lesers farbenprächtige Bilder der Welt und der Figuren entstehen. Ein weiterer Pluspunkt ist, wie sie subtil der Figur angepasst ist, aus deren Perspektive gerade geschrieben wird. So bedienen sich z.B. Temur und Samarkar unterschiedlicher Vergleiche, die ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund entsprechen.


Fazit

„Range of Ghosts“ ist der erste Teil einer Fantasy-Serie in einem von asiatischer Geschichte und Mythologie inspirierten Setting. Sensibel geschilderte Figuren, eine schöne, durchdachte Sprache und eine atmosphärische Welt, die den Leser immer wieder zum Staunen bringt und mit originellen Ideen überrascht, machen das Buch lesenswert.


Tom Doherty Associates, März 2012

Imprint: Tor Books

ISBN: 9781429986489

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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