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Rezension: Max Gladstone - Three Parts Dead (Craft Sequence, Buch 1)

Swantje Niemann • Sept. 02, 2018

Gladstones Roman bietet eindrucksvolle Figuren, eine schöne Sprache und ein Setting, das elegant Magie und Moderne verwebt.

„Three Parts Dead“ spielt in einer Welt, in der einst überall Götter herrschten. Nun besitzen sie nur noch einige wenige Territorien, wo sie in wechselseitiger Abhängigkeit mit ihren Gläubigen leben. Denn als Menschen begannen, Magie – Craft – für sich zu entdecken, forderten sie in den traumatischen „God’s Wars“ ihre unsterblichen Herrscher heraus. Obwohl es sich um eine Sekundärwelt handelt, fühlt sich das Setting sehr modern und urban an.

Die Magie in Max Gladstones Fantasyuniversum basiert auf Glaube und Sternenlicht und wird studiert und präzise angewendet. „Applied Theology“ ist die sehr an Physik und Ingenieurskunst erinnernde Wissenschaft davon, wie sich göttliche Macht lenken lässt, und die Nekromanten von Kelathras, Albrecht und Ao erinnern eher an Anwälte, die darüber diskutieren, welche Verträge die Menschen und Götter, die sie wiedererwecken wollen, gebunden haben, und wer daher die Erweckung kontrollieren sollte. Doch auch wenn Magie oft auf eine professionalisierte, formalisierte Weise gewirkt wird, gibt es immer wieder Momente, wo sie und diejenigen, die sie beherrschen, beeindruckend, rätselhaft und ehrfurchtgebietend erscheinen.

Tara Abernathy ist eine Craftswoman, eine junge Nekromantin, die die „Hidden Schools“ auf eher dramatische Weise verlassen hat und nun ein überraschendes Jobangebot erhält: Die einschüchternde Ms. Kevarian bietet ihr einen Job in der Firma Kelethres, Albrecht und Ao an. Ihr erster Auftrag führt sie nach Alt Coulumb.

Diese Stadt gehört dem Gott Kos, ebenso, wie er ihr gehört. Verträge und Glaube binden Kos und Alt Coulumb aneinander und die Kräfte des Feuergottes garantieren die Energieversorgung der Stadt. Als er von einem Tag auf den nächsten stirbt, ist das eine Katastrophe. Der Priesterschaft bleibt nichts anderes übrig, als zu offen, dass die Delegation von Kelethres, Albrecht und Ao ihren Gott wieder zum Leben erwecken kann, bevor sein Tod bekannt wird. Doch bevor Kos erweckt werden kann, muss das Rätsel um seinen Tod gelöst werden.

Tara stürzt sich sofort in die Ermittlungen. Auf den Straßen Alt Coulumbs begegnet sie Gargoyles und verstümmelten Göttern, Vampiren, kettenrauchenden Novizen und Gesetzeshütern, die süchtig danach sind, sich von der unbarmherzigen Gottheit „Justice“ lenken zu lassen. Alt Coulumb erweist sich als ein faszinierender, auffallend modern anmutender Schauplatz voll origineller Magie und Geheimnisse. Immer wieder manifestiert sich die untrennbare Verflechtung von Magie und Alltag, Religion und Wirtschaft und langsam zeichnet sich ab, dass es Kapitel der Stadtgeschichte gibt, die so einige Bewohner Alt Coulumbs lieber vergessen wissen würden.

Für Tara ist der Fall Kos zunächst eine Möglichkeit, sich zu beweisen und in den Reihen einer renommierten Firma aufzusteigen. Doch als Alexander Denovo, der Grund für das abrupte Ende ihres Studiums, die Bühne betritt, und sie mehrmals um ihr Leben fürchten muss, begreift sie, dass mehr auf dem Spiel steht als ihre Karriere.

Max Gladstone schafft es immer wieder, die Leser zu überraschen und das Ende des Romans liefert schließlich eine komplexe Lösung für all die offenen Fragen und ein sehr befriedigendes Finale. Allerdings hätte er bestimmte Informationen über die Welt und einige Figuren durchaus früher liefern können, sodass die Orientierung in seinem fiktiven Universum von Anfang an leichter und einige Figuren schon früher sympathisch werden.

Zum Beispiel ist Tara eine Figur, die einem erst ans Herz wächst, als man mehr über sie und ihre Vorgeschichte erfährt. Gerade am Anfang ist sie eine trotz ihrer Jugend beeindruckend kompetente Craftswoman, die schnell und kühn auf neue Situationen reagiert und nicht davor zurückschreckt, andere zu manipulieren. Es macht Spaß, ihr zuzusehen, weil sie entschlossen und einfallsreich agiert und die Handlung vorantreibt. Doch es ist lange Zeit über ein distanziertes Interesse, bis Details aus Taras Vergangenheit ans Licht kommen und sie Entscheidungen trifft, die ihr auch Achtung und Sympathie eintragen und dafür sorgen, dass man beim Lesen mehr Anteil an ihrem Schicksal nimmt.

Ms. Kevarian ist ein Bild dessen, was Tara eines Tages werden könnte: Kühl, beherrscht, allen anderen immer einen Schritt voraus. Auch sie ist durch ihre Vorgeschichte mit Alexander Denovo verbunden, in dem die Protagonisten des Buches einen gefährlichen Gegenspieler finden.

Abelard, der Novize, der Kos‘ Tod als erstes bemerkt hat und der Tara bei ihren Ermittlungen hilft, wird in Ereignisse hineingezogen, die ein wenig zu groß für ihn sind. Er ist manchmal ein wenig unbeholfen, aber mutig und loyal seinen Freunden und seinem Gott gegenüber. Zu Abelards Freunden gehört Cat(herine Elle), eine tatkräftige junge Frau, die immer wieder von „Justice“ übernommen wird, und die die Leere, die sie zwischen den Einsätzen fühlt, zu füllen versucht, indem sie den Rausch von Vampirbissen sucht.

Hinzu kommen noch eine Menge einprägsamer Nebenfiguren wie der Gargoyle Shale. Das Figurenensemble ist interessant und es macht Spaß, die Figuren zu beobachten.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Tara, Ms. Kevarian, Cat und Abelard erzählt. Meist wird die Geschichte durch ihre Wahrnehmung gefiltert, auch wenn es ein paar Einschübe gibt, die mal eine Vogelperspektive, mal einen Einblick in Ereignisse liefern, die die Hauptfiguren nicht miterleben. „Three Parts Dead“ liest sich flüssig, teilweise mit originellen Formulierungen und Vergleichen, und arbeitet gekonnt mit dem Kontrast zwischen dem seriösen Auftreten der Craftspeople und Kleriker und der ehrfurchtgebietenden Macht der Magie und der Gottheiten, mit denen sie interagieren. Informationen über die Welt sind beiläufig eingeflochten.

Fazit

„Three Parts Dead“ ist ein rasanter, gut geschriebener Roman in einer originellen Sekundärwelt, in der sich das Göttliche mit Geschäftsstrukturen mischt. Kompetente, entschlossene Charaktere, die immer einen versteckten Plan haben und sich elegant in moralischen Grauzonen zu bewegen wissen, sorgen dafür, dass die Handlung nie zum Stillstand kommt.


Buchinfo:

Tor Books (Juli 2013)

Paperback

333 Seiten, 16,49 EUR

ISBN: 9780765333117

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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