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Über das Schreiben: Hungrige Schubladen

Swantje Niemann • März 20, 2018

Ich erzähle von dem entscheidenden Beitrag, den Drúdirs unsichtbare Geschwister zu meiner Entwicklung als Autorin geleistet haben und verteidige das oft belächelte Schreiben für die (virtuelle) Schublade.


Ich habe mein erstes Buch mit 13 geschrieben (und ein paar Jahre später in einem Anfall von Scham wieder gelöscht und auch alle Kopien vernichtet, was ich mittlerweile doch ein bisschen bereue). Es war genau die Sorte Buch, die man von einer 13-jährigen erwarten würde und ich bin froh, dass nicht einmal meine Eltern es lesen durften. Aber ich habe nie bereut, es geschrieben zu haben. Was ich daraus mitgenommen habe, war die Erfahrung, dass ich ein Buch beenden konnte (dass der Inhalt der 374 A4-Seiten von zweifelhafter Qualität war, hielt und hält mich nicht davon ab, stolz darauf zu sein) und die Erkenntnis, dass ich mir selbst ganz nebenbei 10-Finger-Tippen beigebracht hatte. Aber noch wichtiger waren die durch Versuch und Irrtum gewonnen Ansätze eines Wissens darum, was beim Schreiben funktioniert und was nicht.

In den nächsten beiden Jahren folgten zwei weitere Manuskripte, die beide unveröffentlicht in der Schublade gelandet sind. Na schön, bei Nr. 3 habe ich ein oder zwei Versuche gemacht, es Verlagen und Agenturen anzubieten. Ich bin erleichtert, dass nichts daraus geworden ist. Es war ein Buch, in dem einige interessante Ideen steckten und das ein gewisses Potenzial erkennen ließ, aber mehr auch nicht. Es ist ein Glück, dass Selfpublishing damals gerade erst dabei war, sich zu entwickeln. Ich hätte mich sonst möglicherweise dazu verleiten lassen, es damit zu versuchen – und Leser dieses noch etwas unbeholfenen Buches womöglich dauerhaft davon abgeschreckt, je wieder einen anderen Roman derselben Autorin in die Hand zu nehmen.

Aber wieder habe ich viel daraus gelernt, diese Bücher zu schreiben. Als ich begann, mich intensiver mit Schreiben auseinanderzusetzen und z.B. die Vorlesungen Brandon Sandersons ansah, den Podcast „Writing Excuses“ hörte oder die Artikel auf „Mythcreants“ oder „Fantasy Faction“ las, stellte ich fest, dass ich viele der Techniken und Überlegungen, die die Autoren dort analysieren und empfehlen, bereits verwendete, ohne mir dessen bewusst zu sein.

Ich kann diese Seiten/ Videos/ Podcasts nur empfehlen, allerdings glaube ich, dass sie mir weniger geholfen hätten, wenn ich das, was sie beschreiben, nicht in Beziehung mit meiner eigenen Schreibpraxis hätte setzen können. Sie haben mich auch in der Überzeugung bestätigt, dass man Schreiben nur durch Schreiben lernen kann: Brandon Sanderson hat 13 „Übungsbücher“ geschrieben, bevor eines seiner Werke veröffentlichungsreif war.

Meine ersten Romane haben mir nicht nur beigebracht, besser zu schreiben. Ich habe dadurch auch gelernt, effektiver zu überarbeiten und beim Lesen eines Buches nicht nur zu wissen, ob es für mich funktioniert, sondern auch wie und warum. Es hat aus mir eine bessere Rezensentin und mir während meines Praktikums in einer Literaturagentur beim Lektorieren geholfen.

Der Gedanke an eine Veröffentlichung war beim Schreiben dieser ersten Bücher ein glitzernder, aber weit entfernter Wunschtraum. Und das war gut so.

Ich finde es ein bisschen schade, dass Autoren, die erstmal oder vielleicht sogar ihr Leben lang für die Schublade oder nur ihre engsten Freunde schreiben, so oft belächelt werden und dass so viele junge Autoren sich unter Druck setzen, weil sie glauben, dass ihre Arbeit ohne eine Veröffentlichung nichts wert ist.

Eine Vergleich, um zu illustrieren, was ich meine: In meinem Zimmer steht eine Harfe, an der ich mit Begeisterung herumzupfe. Es gibt kleine Kinder, die mit mehr Talent und Fleiß spielen als ich, aber ich genieße es, mag das Gefühl, etwas zu lernen, oder einfach den Resonanzkörper der Harfe neben meinem Ohr schwingen zu hören. Aus demselben Grund habe ich jahrelang in Schulchören mitgesungen, greife hin und wieder nach dem Bleistift, um zu zeichnen, oder trainiere seit mittlerweile vier Jahren die japanischen Kampfkünste/ -Sportarten Iaido und Kendo. In keinem dieser Bereiche würde ich je ein großes Publikum finden (oder hätte es mit einem wütenden oder enttäuschten großen Publikum zu tun, wenn es mir unter Vorspiegelung falscher Tatsachen doch gelänge) – aber deshalb machen sie mir eher mehr als weniger Spaß. Und aus jeder dieser Aktivitäten habe ich etwas Anderes für mich mitgenommen oder tue es immer noch.

Und weil es mir mit meinem Schreiben ein Stück weit genauso geht, wäre es für mich kein Problem gewesen, wenn „Drúdir“ nicht seinen Weg ins Programm von „Edition Roter Drache“ gefunden hätte. Das Schreiben des Buches – und all seiner Vorgänger – hat mir bereits so viel Freude gemacht und mir so sehr dabei geholfen, mich auf vielen Ebenen weiterzuentwickeln, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hätte.

Aber als „Drúdir“ fertig und lektoriert war, wusste ich, dass all die Arbeit, die ich – teilweise ohne es selbst zu merken – in meine Entwicklung als Autorin gesteckt hatte, Früchte getragen hatte und dass dieses Buch vielleicht mehr Leuten als mir und meinen Freunden und Verwandten gefallen würde. Ich war schon immer davon fasziniert, wie keine zwei Leser dasselbe Buch lesen, obwohl auf den Seiten vor ihnen die gleichen Worte stehen. Ich wollte mein Buch auf Menschen außerhalb meines (in vieler Hinsicht recht homogenen) engsten Umkreises loslassen und sehen, welche Gestalt die Geschichte in deren Köpfen annimmt. Geld mit dem Ganzen zu verdienen wäre auch nett gewesen, aber ich hatte genug recherchiert, um zu wissen, dass Schreiben sich in der Regel nicht lohnt, zumindest nicht finanziell. Also war Neugier mein primäres Motiv.

Aber die Resonanz war gut genug, um mich doch noch einmal einen Schwarm Bewerbungen an Verlage schicken zu lassen – mit bekannten Resultaten.

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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