Hinter den Kulissen: Versuch & Irrtum

Swantje Niemann • 16. Juni 2019

Über das Überarbeiten, das von vorne Anfangen, und Arbeit, die nur auf den ersten Blick verschwendet ist.

Wenn ich schreibe, geschieht das schubweise. Nur meine ersten, unveröffentlichten Romane und „Drúdir – Dampf und Magie“ sind langsam und stetig entstanden – ich habe mich von einer ersten Szene, die mich irgendwie ansprach, blind weitergetastet, bis ein ganzes Buch da war. Bei „Dampf und Magie“ hatte ich etwas, das an einen groben Plan erinnerte, aber auch hier war eine Menge Discovery Writing involviert.
Bei „Drúdir – Masken und Spiegel“ sah es hingegen ganz anders aus. Die Reaktionen auf den ersten Teil waren spärlich, aber weitestgehend sehr positiv gewesen, woraus sich ein gewisser Erwartungsdruck ergab, ein mindestens genausogutes Buch zu liefern. Ich entwickelte zahlreiche Ideen, wie es mit den Figuren weitergehen konnte. Die Gegnerin, mit der Drúdir es in Rhuvien zu tun bekommen würde, stand schon lange fest, aber das war auch das Einzige, was ich über die Geschichte wusste. Also schrieb ich drauf los. Binnen anderthalb Monaten entstanden fünf Erzählstränge mit fünf verschiedenen Konflikten und nachdem ich etwa 60.000 Wörter (für alle Nicht-Autor*innen: Das entspricht etwa der Hälfte von „Dampf und Magie“) geschrieben hatte, wurde mir klar, dass ich sie nicht befriedigend würde zusammenführen können.
Also: Weg mit dem Findra-Erzählstrang, der sich erst im darauffolgenden Buch wieder mit Drúdirs vereint hätte. Weg mit den Strängen um Phandrael und Kyrai (keine Ahnung, was ich mit denen vorhatte). Weg mit einem Erzählstrang rund um Svalris, in dem es ein paar sehr interessante Dialoge gab und der vermutlich irgendwann auf Phandraels und Kyrais getroffen wäre (ich glaube, der große Plot des Romans war, dass Findra und Svalris ein Heilmittel für eine magisch geschaffene Epidemie finden müssen, welcher primär Elfen zum Opfer fallen, was sie wieder dazu zwingt, mit Phandrael und Kyrai zusammenzuarbeiten – ich habe mir kaum Notizen gemacht, und wenn ich mir jetzt das halbe Manuskript anschaue, kann ich nur raten, wo sich am Ende alles hinbewegen sollte).
Meine Lösung bestand darin, den Drúdir-Erzählstrang herauszulösen und auszubauen. Einige Kapitel oder Szenen konnte ich in den zweiten Entwurf von „Masken und Spiegel“ übernehmen. Ich ließ Jathrades seine Geschichte erzählen, gab Drúdirs Gegenspielern eine Stimme und schrieb so eine viel fokussiertere und bessere Geschichte, die ein Bündel eng zusammenhängender Konflikte und ihre Auswirkungen auf eine Handvoll Figuren und ihre Beziehungen zueinander auslotet. Ich bin tatsächlich ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis.
Man könnte meinen, dass ich daraus gelernt hätte, doch „Drúdir 3“ entstand auf ganz ähnliche Weise. Wer diesen Artikel ausgräbt, nachdem er/sie/* das Buch gelesen hat, wird über den folgenden Satz lachen: Eigentlich sollte „Drúdir 3“ in erster Linie eine Liebesgeschichte werden und Drúdirs Charakterentwicklung damit abschließen, dass er, der nach zu vielen erlittenen Verlusten vorsichtig geworden ist, wieder eine romantische Beziehung eingeht. Mir wurde jedoch klar, dass das nicht passieren würde, denn das gehetzte Queste-Narrativ, vor dessen Hintergrund die emotionale Entwicklung der Figuren stattfinden sollte, ließ dieser nicht annähernd genug Zeit.
Ebenso wenig konnte ich bestimmte Aspekte des Weltenbaus und der zwergischen Gesellschaft ausreichend beleuchten, um sie glaubwürdig und differenziert erschienen zu lassen. Und auch ein wichtiger Antagonist Drúdirs wurde hier aus der Sicht einer Figur eingeführt, die zwar die Handlung vorantrieb, aber wenig geeignet war, um emotionale Reaktionen bei Leser*innen zu wecken. Ich beschloss, dass dieser Zwerg zu einer PoV-Figur werden musste, und dass ich mich nicht zwingen sollte, eine gehetzte Queste zu schreiben, wenn mir eine andere Geschichte mehr Raum gab, um den schweren Themen, die „Drúdir 3 – Version 1“ streifte, wirklich gerecht zu werden.
Hinzu kam noch ein weiterer, persönlicherer Grund: In „Drúdir 3 – Version 1“ hat das zwergische Äquivalent von Nazis die Macht über einen Teil der Union übernommen, und das war ein Szenario, über das zu schreiben ich vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen absolut keine Lust hatte.
Ich musste erst 75.000 Wörter zu Papier bringen (entspricht ¾ von „Drúdir 2“), um mir dessen bewusst zu werden, dass ich eigentlich eine andere, bessere Geschichte schreiben wollte. Eine, in der z.B. ich auf die Hintergrundgeschichte und Situation der Trolle eingehen konnte, die in „Drúdir 3“ eine Rolle spielen (es ist eine fiktionale Kultur, aber ich habe mich trotzdem daran gestört, dass sie nur durch eine einzige Figur repräsentiert wurde und dadurch sehr flach erschien). Außerdem konnte ich eine wichtige Figur so viel besser einführen. Aber ich bin aus diesem nahezu komplett verworfenen ersten Versuch mit einer sehr viel klareren Idee dessen hervorgegangen, was ich haben wollte. Und: Ich konnte ein paar Elemente aus dem verworfenen Entwurf von „Masken und Spiegel“ wiederverwenden, die hier besser passten. (Das mit der Liebesgeschichte hat aber auch in der zweiten Version nicht so richtig geklappt).
Meine Versuch-und-Irrtum-Methode ist zeitaufwändig, aber ich glaube, mit den Resultaten kann ich ganz gut leben.
Teil 3 ist übrigens größtenteils fertig und hat ein Sensitivity-Reading durchlaufen (vielleicht schreibe ich in einem anderen Post mehr dazu). Jetzt muss ich mich noch um den Feinschliff kümmern, bevor das Manuskript ins Lektorat gehen kann. Voraussichtlich wird das Buch im Frühling 2020 erscheinen.

Die 10 Bände des Malazan Book of the Fallen in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 6. Juni 2025
Lohnen sich die 10.683 Seiten?
Altmodischer Globus
von Swantje Niemann 2. Mai 2025
Wie können fiktive Welten größer wirken, als sie tatsächlich sind?
Die Bücher
von Swantje Niemann 20. Januar 2025
Auch in der zweiten Jahreshälfte von 2024 habe ich viele gute, und einige großartige Bücher gelesen. Ich habe viel aussortiert, um bei einer übersichtlichen Liste zu landen.
Hand mit einer Wunderkerze vor dunklem Hintergrund
von Swantje Niemann 9. Januar 2025
2024 endet, 2025 beginnt, und damit gehen große Veränderungen einher
Die drei ersten Bände der
von Swantje Niemann 29. Juli 2024
Willkommen zu einem Artikel, der eine Lupe über circa fünf Buchseiten hält.
Vier Bücher mit dem Schnitt nach vorne, sodass man die Post-Its zwischen den Seiten sehen kann
von Swantje Niemann 24. Juli 2024
Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28. Dezember 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20. November 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 4. November 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Weitere Beiträge