Rezension: Robert Jackson Bennett – Foundryside (Founders #1)

Swantje Niemann • 3. Juni 2019

"Foundryside" hat Robert Jackson Bennetts Status als einer meiner Lieblingsautoren weiter zementiert.


Klappentext

Sancia Grado is a thief, and a damn good one. And her latest target, a heavily guarded warehouse on Tevanne’s docks, is nothing her unique abilities can’t handle.

But unbeknownst to her, Sancia’s been sent to steal an artifact of unimaginable power, an object that could revolutionize the magical technology known as scriving. The Merchant Houses who control this magic--the art of using coded commands to imbue everyday objects with sentience--have already used it to transform Tevanne into a vast, remorseless capitalist machine. But if they can unlock the artifact’s secrets, they will rewrite the world itself to suit their aims.

Now someone in those Houses wants Sancia dead, and the artifact for themselves. And in the city of Tevanne, there’s nobody with the power to stop them.

To have a chance at surviving—and at stopping the deadly transformation that’s under way—Sancia will have to marshal unlikely allies, learn to harness the artifact’s power for herself, and undergo her own transformation, one that will turn her into something she could never have imagined.

Rezension

Robert Jackson Bennetts erste Trilogie („Divine Cities“/„Die göttlichen Städte“) hat mich bereits sehr beeindruckt. Diejenigen, die es interessiert, können meine Rezensionen zu Teil 1 , 2 und 3 auf meiner Seite oder Literatopia lesen. Während es sich bei den Divine-Cities-Bänden eher um nachdenkliche Agententhriller mit einigen Momenten intensiver, blutiger Action handelt, beschreibt der Autor seinen rasanten, actiongeladenen Trilogieauftakt „Foundryside“ als einen Cyberpunkroman in einem Fantasy-Renaissance-Setting und das ist eine exzellente Zusammenfassung.

Ich möchte das originelle Magiesystem hier nicht näher erklären – das tut Bennett selbst im Buch ein wenig zu ausgiebig –, aber „Leute hacken die Realität“ funktioniert ganz gut als verkürzte Beschreibung. Magische Gegenstände und diejenigen, die sie herstellen können, sind die Grundlage wirtschaftlicher und politischer Macht in Tevanne. Die Angehörigen wichtiger Handelshäuser leben und arbeiten unter der Führung der Founder-Dynastien auf abgeschlossenen „Campi“, die von gesetzlosen Slums umgeben sind. Durch die Namen der Figuren und die Erwähnungen von Plattenrüstungen und Rapieren fühlt sich das Setting ein wenig nach italienischer Renaissance an, aber Kolonien mit von Sklaven bewirtschafteten Plantagen und die alternativen Technologien, die durch die Magie („Skriving“) ermöglicht werden, lassen eher an das 17. und 18. Jahrhundert, beziehungsweise an die Zeit der Industrialisierung denken. Immer wieder werden Ausbeutung, Sexismus und die negativen Folgen von ungezügeltem Kapitalismus, der Menschen in bloße Ressourcen verwandelt, thematisiert. Das Setting ist düster und dreckig und immer wieder geraten Unbeteiligte ins Kreuzfeuer, wenn die Machtinteressen der Founder auf dem Spiel stehen. Es treten jedoch auch Figuren auf, die sich weigern, den Status Quo zu akzeptieren und das Narrativ stellt sie nicht als zum Scheitern verurteilte Träumer dar.

In einem der Slums lebt eine junge Frau, der gegen ihren Willen besondere Fähigkeiten verliehen wurden: Eine „geskrivte“ Metallplatte in ihrem Kopf lässt Sancia (sprich „Sanschia“) Grado Kontakt mit Gegenständen um sie herum aufnehmen. Was sie zu einem Ausnahmetalent unter den Dieben und Einbrechern der Slums macht, bedeutet auch, dass sie durch die konstante Reizüberflutung nicht in der Lage ist, ein normales Leben zu führen. Sie ist geht routinemäßig hohe Risiken ein und versteht sich auf Improvisation. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Figur, die innerlich abgestumpft einfach das Nächstliegende tut, aber im Verlauf des Buches wird sowohl die Tiefe ihres Traumas ersichtlich, als auch, wer sie unter glücklichen Umständen sein könnte, da man sie auch in Interaktion mit Menschen sieht, die allmählich zu ihren Freunden werden.

Gleich am Anfang des Buches kreuzt sich ihr Weg mit dem Gregor Dandolos, dem Sohn des Oberhaupts einer Founder-Familie, der sich nach einer desaströsen Militärkampagne von den Intrigen der Founder abgewandt hat und nun versucht, die Welt außerhalb der wohlgeordneten Campi zu einem sichereren Ort zu machen. Auf den ersten Blick wirkt er streng und langweilig, aber er trägt viel unterdrückte Wut mit sich herum, und dass er sich von allem abgewendet hat, wofür die Founder stehen, verrät Unabhängigkeit. Er ist der zweite Protagonist.

Auch andere Figuren sind gut gezeichnet. Darunter ist z.B. ein Schlüssel, der immer einen flapsigen Kommentar parat, aber auch eine komplexe Persönlichkeit hat (im Kontext der Geschichte ergibt das Sinn^^). Die Antagonisten, von denen einige lange verborgen bleiben, sind Figuren, die man aus tiefstem Herzen hassen kann, und auch die Nebenfiguren funktionieren gut in ihren Rollen und zeigen Persönlichkeit. Sancia und Gregor sind nicht die einzigen Figuren, aus deren Perspektive geschrieben wird.

„Foundryside“ ist, anders als die gemächlicheren, nachdenklicheren „Divine Cities“-Bücher, ein Roman, in dem eine Actionszene die nächste jagt. Die Kämpfe sind gleichzeitig brutal und raffiniert, da die Figuren die Schlupflöcher in dem harten Magiesystem der Welt geschickt auszunutzen wissen. Ein wenig ist „Foundryside“ wie ein Actionfilm, der einen regelmäßig staunen lässt, wieviel Schaden eine Figur mit den unwahrscheinlichsten Waffen anrichten kann.

Gewagte Einbrüche, Duelle in luftiger Höhe, Fluchten in letzter Sekunde und Verrat hinter jeder Ecke und auch ein bisschen Comic Relief … All das macht „Foundryside“ zu einem Buch, dessen Lektüre einfach Spaß macht, aber auch zum Mitfühlen und Nachdenken anregt, da einige der großen Themen in unserer Welt genauso relevant sind wie in dem Fantasy-Universum, das wir hier kennenlernen.

Tatsächlich ist sind meine einzigen größeren Beschwerdepunkt nur die etwas schwerfällige Exposition am Anfang (in einer mit dem Textfluss brechenden Passage werden Aspekte des Magiesystems erklärt, nur um dann später noch einmal auf natürlichere Weise ein zweites Mal eingeführt zu werden), dass die Handlung stellenweise vielleicht sogar etwas zu schnell und atemlos voranjagt, und dass eine Wendung etwas besser vorbereitet sein dürfte.

Der Stil des Buches – diesmal ist es im Präteritum geschrieben – ist angenehm zu lesen. Viele kleine Details tragen zum immersiven Leseerlebnis bei. Die relativ späte Einführung einiger Perspektiven irritiert, aber jeweils nur für einen Moment. Die Tevanni haben ihre eigenen Slang- und Fachbegriffe, von denen man sich jedoch nicht erschlagen fühlt. Auch in Bezug auf Repräsentation schneidet das Buch gut ab: Sancia ist eine WoC und es wird eine lesbische Liebesgeschichte angedeutet, von der ich im Folgeband, „Hierophant“, gerne mehr sehen würde.

Fazit

„Foundryside“ hat mich mit seinem innovativen Magiesystem und Weltentwurf, einer Menge rasanter Action und relevanten Themen begeistert.

Buchdaten

Verlag: Crown (2018)

Übersetzung: Nachdem „Die göttlichen Städte“ in Deutschland nicht so gut lief, mache ich mir leider keine großen Hoffnungen.


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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. 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