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Eine Handvoll Dinge, die ich heute anders machen würde

Swantje Niemann • Juni 05, 2020
Ich bin relativ zufrieden mit der Person, die ich gerade bin. Leider war mein Weg auch mit Versuch und Irrtum verbunden, und es waren Irrtümer darunter, die womöglich Menschen verletzt haben. Also: Zeit für einen Post, der eine klare Linie zwischen „akzeptabel“ und „Probiert das bitte nicht zu Hause aus!“ ziehen. 

1. Was ich als Lektorin gerne besser gemacht hätte
Als ich noch Praktikantin war, wurden mir mehrere Manuskripte zum Lektorieren anvertraut. Pflichtbewusst entfernte ich holprige Formulierungen, sich lang hinziehende Passagen und Rechtschreibfehler. Was ich aus einer Mischung aus Konfliktvermeidung und dem Verdacht, dass ich einfach zu empfindlich sei, in zwei Fällen nicht ansprach: Passagen, die diskriminierende Stereotype reproduzierten und sexuelle Gewalt auf verharmlosende Weise darstellten, was bei mir zu einem unbehaglichen Leseerlebnis geführt hat. Ich hätte die Autoren rückblickend gerne darauf angesprochen, ob sie über die Perspektive betroffener Lesender nachgedacht haben.

2. Fragwürdige Formulierungen in meinem ersten veröffentlichten Roman
Tja, und dann habe ich es noch fertig gebracht, eine Handvoll Dinge in meinen ersten Roman zu packen, hinter denen ich definitiv nicht mehr stehe. Da ist zum Beispiel eine Szene, in der ein Elf einem Zwerg scherzhaft Rassismus vorwirft, was als Rechtfertigung der Idee von "umgekehrtem Rassismus" gelesen werden könnte - oder zumindest als Passage, die Leute an die nervigeren Comment-Sections auf diversen Seiten erinnert. Außerdem bin ich angesichts der hässlichen Renaissance der Hufeisentheorie nicht glücklich darüber, dass ich nicht noch stärker hervorgehoben habe, dass das zwergische Äquivalent von Nazis in meinen Büchern weit schlimmer ist als die ebenfalls gegen die herrschende Ordnung kämpfenden Zwerge auf der linken Seite des politischen Spektrums. (Irgendwie war ich so sehr davon ausgegangen, dass das selbstverständlich ist, dass es das nicht auf die Seiten geschafft hat). Und dann sind da noch viel zu sehr auf ihr Äußeres und dessen Bewertung fixierte Einführungen weiblicher Figuren, die wiederum PoV-Figuren sexistischer erscheinen lassen, als mir lieb ist, sowie Formulierungen und Tropes, denen man anmerkt, dass ich noch nicht so ganz meine eigene Stimme gefunden hatte und mich sehr an dem orientierte, was ich bisher gelesen hatte. Außerdem war es ein reiner Glücksfall, dass ich in der Verlagsveröffentlichung eine Aneignung jüdischer Folklore vermieden habe, indem ich entschied, meine künstlichen Menschen/Zwerge nicht länger als Golems zu bezeichnen (mir waren die Wurzeln der Geschichte vage bekannt, aber die Figur war durch das vielfache Aufgreifen des Mythos in Populärkultur sehr verwässert/von ihrem ursprünglichen Kontext gelöst – was aber, wie ich jetzt finde, kein Grund ist, diesen nicht zu respektieren). Es sind letztlich kleine Details in einem Buch, dass ich größtenteils recht gelungen finde, aber sie stören mich trotzdem.

Für diejenigen, die interessiert, welche Konsequenzen ich daraus gezogen habe
Ich versuche, stetig mehr über das Schreiben, aber auch die reale Welt zu lernen, und ziehe Sensitivity-Leser*innen hinzu, wenn ich mir bei einem Manuskript nicht sicher bin, ob meine Darstellung einer Person oder Thematik realistisch und respektvoll ist. Mein Anspruch an mich selbst ist, dass jedes Buch besser wird als das vorherige, und dass ich auch in meiner Funktion als Lektorin nicht davor zurückscheue, unbequeme Fragen zu stellen.

Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
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Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
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Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 04 Nov., 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Die Bücher
von Swantje Niemann 22 Apr., 2023
Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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