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Gedanken zu Genres: Grimdark Fantasy - ein Rückblick

Swantje Niemann • Juni 06, 2020
Burgruine vor graublauem Himmel
In den letzten Jahren habe ich hin und wieder Bemerkungen à la „Mich stört dieser neue Trend hin zu super düsterer, brutaler Phantastik“ gelesen und war ziemlich irritiert. Nicht von dem Bedürfnis, ein Buch zu lesen, in dem Figuren auch mal gute Menschen sein dürfen und nicht das Mikroskop auf hässliche Details gerichtet wird, sondern von der Aussage, dass es sich dabei um ein neues Phänomen handelt.
Denn Fantasy, welche diese Kriterien (ein eher humorvoller Artikel, der aber mMn sehr zutreffend klassische Grimdark-Topoi identifiziert) erfüllt, ist nicht länger neu, schockierend und provokativ. Wer fleißig all diese Punkte abhakt, folgt einem tatsächlich mittlerweile abklingenden Trend, dessen Beliebtheit wahrscheinlich in der aktuellen Situation, in der ich online mehr und mehr Leute nach Comfort-Reads fragen sehe, einen weiteren scharfen Knick nach unten erleben wird.
Daher denke ich, dass weniger eine Auseinandersetzung mit einer neuen Geschmacksrichtung der Phantastik angemessen ist, sondern vielmehr ein Rückblick, der nach Wegbereiter*innen, dem aktuellen Status und den eventuell bleibenden Einflüssen von Grimdark fragt.

Worüber reden wir hier eigentlich?
Wie bei so vielen Kategorien, in welche (phantastische) Romane einsortiert werden, ist Grimdark so eine „Ich erkenne es, wenn ich es sehe“-Sache – eine Kombination von bestimmten Tropes, aber auch einer gewissen Grundeinstellung und Atmosphäre. Die Kategorie ist eng mit High-Fantasy assoziiert, aber ich habe den Begriff auch hin und wieder auf Science-Fiction angewendet gesehen (wie ich später erklären werde, wurde er durch die Bescheibung einer Science-Fantasy-Welt geprägt), und in der „Grimdark Readers and Writers“-Facebookgruppe hat jemand mal Cyberpunk als „grimdark-adjacent“ bezeichnet. 

Aber was genau sind diese Topoi, die Grundeinstellung und die Atmosphäre, über die ich spreche? Das in der Einleitung verlinkte Trinkspiel benennt ziemlich viele davon (bitte verantwortungsvoll ausprobieren).
In vielen Fantasyromanen geht es brutal zu, schließlich ist das Genre verliebt in seine Kriegsgeschichten, aber grimdark Fantasy schildert Gewalt oft besonders schonungslos und unheroisch. Für uns inakzeptable Ungerechtigkeiten sind dort nicht die Störung einer wiederherzustellenden Ordnung, sondern die Ordnung selbst – und eine Entwicklung zum Besseren scheint unwahrscheinlich, bestenfalls kann ein Abgleiten in eine schlimmere Situation verhindert werden. Meine persönliche, sehr vereinfachte Formel ist: 

  • Traditionell heroische Fantasy: Der Status Quo bzw. ein goldenes Zeitalter in der Vergangenheit ist gut und sollte bewahrt/wiederhergestellt werden. 
  • Hopepunk: Der Status Quo ist inakzeptabel, und wir wollen und können positive Veränderungen herbeiführen. 
  • Grimdark: Der Status Quo ist ziemlich mies, und mit ein bisschen Glück können wir verhindern, dass alles schlimmer wird.
(Ein gutes Beispiel dafür wäre Ed McDonalds „Im Zeichen des Raben“ – hier folgen wir einem Protagonisten, der im Grunde genommen der stereotype mid-management Scherge eines bösen Zauberers ist, und finden uns letztlich auf seiner Seite wieder, weil der Sieg seines Gegenspielers den Zustand der Welt von „trostlos“ zu „katastrophal“ ändern würde.)

Anders als in vielen Büchern, die als „Dark Fantasy“ bezeichnet werden, arbeitet Grimdark weniger mit dem Unheimlichen. Die Frage ist hier nicht, ob es ein Monster gibt, sondern wie man damit umgeht, dass eins in den meisten Menschen steckt. Grimdark-Romane sind oft Geschichten über Schadensbegrenzung, persönliches Überleben oder den Versuch, Gegner*innen zu überwinden, indem man ihre Rücksichtslosigkeit noch übertrifft Im Hintergrund stehen oft ein gewisser Pessimismus und Zynismus – idealistische Figuren tauchen zwar auf und werden durchaus mit Zuneigung und Respekt geschildert, aber müssen damit rechnen, einen hohen Preis für ihre Prinzipien zu zahlen, oder am Ende mit ihnen zu brechen. Unmoralische Figuren hingegen kommen oft ungestraft davon. 
Die Sprache von Grimdark-Romanen kann lyrisch, experimentell oder aber bewusst schlicht gehalten sein. Wenig überraschend herrscht hier kaum Zurückhaltung in Bezug auf Vulgarität. 

Tatsächlich lässt sich Grimdark-Fantasy gewissermaßen als Rückkehr zu einer sehr alten literarischen Tradition betrachten. Die Helden altgriechischer Epen erweisen sich als ebenso makelbehaftet wie mächtig, die Potagonist*innen altnordischer Sagas sind ebenfalls – zumindest nach modernen Standards, aber wahrscheinlich auch nach denen ihrer Zeit – moralisch ambige Leute in einer feindseligen Welt. Diese Texte passen natürlich nicht perfekt, da sie nicht als Fantasy geschrieben wurden. Sie stützen sich auf historische Überlieferung und wurden in einer Zeit verfasst, in welcher die Wahrnehmung von Realität und Übernatürlichem eine ganz andere war. Aber z.B. Olafs Saga Tryggvasonar ist meiner Meinung nach nur eine sprachliche Modernisierung davon entfernt, ein düsterer Wikinger-Fantasyroman zu sein, der dem Topos von der Rückkehr des rechtmäßigen Königs seinen eigenen, zynischen Twist verpasst, also erwähne ich diese Epen und Sagas mal ehrenhalber. 

Es gibt auch noch einen anderen Grund, alte Epen hier zu nennen, denn teilweise dienen sie modernen Autor*innen als Inspirationsquelle. Anna Smith Sparks „Empires of Dust“ ist nach ihrer eigenen Aussage unter anderem eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ideal kriegerischer Maskulinität, das in vielen dieser Geschichten heroisiert wird.
Aber wie gesagt: Der Begriff „Grimdark“ tauchte erst Jahrhunderte später auf. Er stammt aus dem Spiel „Warhammer 40.000“, in dem es hieß: „In the grim darkness of the far future, there is only war“ und etablierte sich rasch als etwas spöttische Bezeichnung für brutale und deprimierende Fantasywelten. Warhammer 40.000 entwarf eine übersteigert-dystopische Science-Fantasy-Welt, die sich zumindest zu Anfang nicht allzu ernst nahm. 
„Grimdark“ wird gerne kritisch oder spöttisch zur Charakterisierung von Büchern verwendet und kaum jemand setzt sich mit der Absicht hin, einen Grimdark-Roman zu schreiben, wenn man den Interviews im Grim Tidings Podcast glauben kann. Aber viele Autor*innen und Leser*innen haben das Label angenommen und in eine neutrale oder positive Beschreibung umgewandelt. Ich verwende es in diesem Artikel ebenfalls neutral. 

Und warum wollen Leute das lesen/schreiben?
Warum wollen Leser*innen eines als eigentlich angenehm eskapistisch bekannten Genres Bücher lesen, welche manchmal wie eine Art Best-Of menschlicher Abgründe im Fantasygewand daherkommen? (Sie lesen sich manchmal so, aber Seth Dickinson hat einmal zutreffend bemerkt, dass es historisch verbürgte Verbrechen gibt, die so karikaturenhaft böse sind, dass sie in jedem Roman als unglaubwürdig hervorstechen würden.) 

Zum einen womöglich, weil Grimdark-Literatur, auch wenn ich davor zurückschrecken würde, sie als realistischer als andere Fantasy zu bezeichnen, gerne verleugnete Aspekte der Realität spiegelt und Ängste artikuliert (Was, wenn die Welt wirklich voller schlechter Menschen ist? Was, wenn mir schlimme Dinge passieren können, obwohl ich doch alles richtig gemacht habe?). Gleichzeitig schafft sie durch das Setting in einer anderen Welt und die Perspektiven von Figuren, die das Überleben unter solchen Umständen halbwegs (wenn auch nie mit Gewissheit) gemeistert haben, sichere Distanz. 
Matthew Cropley, der diese Aspekte viel besser beschreibt, bemerkt zutreffend, dass etwas Tröstliches darin liegt, zu sehen, dass moralisch richtige Entscheidungen und große Leistungen nicht immer belohnt werden, und das sture Überleben von Grimdark-Protagonist*innen seine eigene Art von hoffnungsvoller Botschaft beinhaltet.
Auf der Seite der Schreibenden hilft das Verfassen düsterer Literatur oft, eigene Erfahrungen oder allgemeine Verzweiflung an der Welt zu verarbeiten, oder sich kritisch mit Ideen von Heldentum und Ähnlichem auseinanderzusetzen.

Eine der Leistungen von grimdark Fantasy ist es auch, ein neues Licht (bzw. neue Schatten) auf die Figur des Helden und allzu heroisierende Darstellungen von Kriegen zu werfen. Diese Literaturrichtung entwickelte mit der Zeit ihre ganz eigenen Klischees, aber im Großen und Ganzen erweiterte sie die Vielfalt unter den Fantasy-Protagonist*innen, denn hier finden sich häufiger als in heroischerer Fantasy Menschen mit Behinderungen, ältere und nicht normschöne Menschen oder Menschen mit psychischen Erkrankungen in dem Hauptrollen, so werden z.B. Suchterkrankungen, Leben mit chronischen Schmerzen, Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen thematisiert. 

Kleine Abschweifung: Grimdark-Autorinnen, Diversity und mein Problem so einigen Tweets
Ich bin daher ein wenig unzufrieden, wenn ich im Diskurs über Phantastik die Dichotomie: „Weiße Männer, die Grimdark für andere weiße Männer schreiben“ vs. „Frauen, die für andere Frauen YA mit viel Diversity schreiben und dafür nicht genug Anerkennung erhalten“ sehe. Es steckt ein Körnchen Wahrheit im zweiten Statement – Literatur von Frauen und mit einem diversen Figurenensemble wird gerne abgewertet/nicht als „Erwachsenliteratur“ betrachtet, und auch die Idee, dass ein Buch unbedingt düster und schockierend sein muss, um relevant zu sein, ist kritikwürdig. Aber das Problem mit dieser Dichotomie ist, dass sie Frauen unsichtbar macht, die Grimdark lesen und schreiben und darin einen validen Weg sehen, Ängste, Erfahrungen und Ideen zu artikulieren. Darüber hinaus lassen Autorinnen wie Elea Brandt, Sarah Chorn, Seth Dickinson und Anna Smith Spark Figuren mit den verschiedensten ethnischen Hintergründen, Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen auftreten. R.F. Kuang schöpft für die Geschichte ihrer Protagonistin aus der jüngeren Vergangenheit und Mythologie Chinas und erkundet ausgiebig die Psyche einer Antiheldin – was in einer Literaturlandschaft, in der Frauenfiguren oft immer noch ein bisschen sympathischer sein müssen als ihre männlichen Gegenstücke, sehr erfrischend ist. Und N.K. Jemisins „Broken Earth“-Trilogie, ein Meilenstein für politische, inklusive Phantastik, weist auch so einige Grimdark-Elemente auf. (Immerhin wird eine so tief von ausbeuterischen Strukturen durchzogene Welt geschildert, dass es sich eigentlich recht nachvollziehbar anfühlt, als jemand ihr Ende auslöst). Pauschale Kritik an Grimdark-Fantasy trägt also leider auch nur dazu bei, die Arbeit von Frauen und vor allem die Vielfalt des literarischen Schaffens von Frauen zu verschleiern.  
Abschweifung beendet, weiter im Text.

Dann ist da natürlich noch der Aspekt von Schock und Tabubruch, der sich aber mMn schnell abnutzt – leider ist das so einigen Autor*innen nicht bewusst, welche die falschen Lehren aus dem Erfolg von Franchises wie „Game of Thrones“ gezogen haben. Ja, die Fans konnten nicht aufhören, darüber zu reden, dass Ned Stark am Ende von Buch Eins hingerichtet wird, aber die Stärke des Buches und der darauf basierenden Serie lag nicht darin, dass sie den vermeintlichen Protagonisten getötet haben. Sie lag darin, ihn zunächst zu einer Figur zu machen, für die sich das Publikum interessierte, und seinem Tod so viele interessante Konsequenzen zu geben, dass die Serie für die Konsument*innen nicht zusammen mit seinem Leben beendet war. Explizite Nacktheit und schockierende Gewalt waren zwar Bestandteil der Geschichte, aber keineswegs ihr Kern. 

Trotzdem würde ich nicht alle schockierenden Elemente in Literatur als billigen Trick abtun. Gekonnt eingesetzt, können sie als Träger interessanter Ideen fungieren, und das Wechselbad von Entsetzen und Erleichterung, das sie erzeugen, ist ein wichtiger Teil des Leseerlebnisses. Und, wie gesagt: Eine Menge beängstigender Dinge gibt es auch in der Realität und dass einige Menschen sich beim Lesen damit auseinandersetzen wollen, finde ich nicht weiter überraschend. 

Warum verschwindet Grimdark allmählich wieder?
Wie bereits gesagt, flaut die Beliebtheit von Grimdark-Fantasy allmählich ab. Es ist weniger ein harter Schnitt als vielmehr ein fließender Übergang zu optimistischeren Geschichten, den teilweise auch Autor*innen innerhalb ihres Werks oder sogar einer einzigen Serie vollziehen. So kontrastiert Mark Lawrence seine nach wie vor lebensfeindlichen Welten mittlerweile gerne mit loyalen, hoffnungsvollen Figuren (man vergleiche „Prince of Thorns“ mit „Holy Sister“). Und Brent Weeks hat innerhalb seiner „Lightbringer“-Pentalogie eine fast schon irritierende Kehrtwende von Romanen voller schmerzhafter Konsequenzen hin zu einem letzten Band vollzogen, in dem es von gesunden Beziehungen, an ihren Herausforderungen wachsenden Figuren, belohnter Opferbereitschaft und unerwarteten Happy-Ends wimmelt. Teilweise wird aber auch klar ein Bedürfnis nach optimistischen, sich klar hinter bestimmten Werten positionierenden Büchern artikuliert, und solche Bücher machen wieder einen wachsenden Teil der Neuerscheinungen und Debüts aus. Ich habe einmal über die Gründe dafür nachgedacht.

Zunächst fällt mir schlichtweg der Wunsch nach Abwechslung ein, aber ich denke, der Trend hin zu optimistischerer Phantastik steht in einem größeren kulturell-politischen Kontext. Die letzten Jahre waren in vieler Hinsicht davon geprägt, Probleme zu benennen, was mittlerweile jedoch zu einer erschöpfenden Routine geworden ist. Ich denke, daraus ergibt sich ein großes Bedürfnis, über Welten zu lesen, in denen es nicht naiv ist, an Lösungen zu glauben und für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Ebenso ist Fantasy mit klareren Fronten besser geeignet, um die Polarisierung der Gegenwart zu spiegeln. 
Ein weiterer wichtiger Aspekt dürfte ebenfalls in der Erfahrung der letzten Jahre begründetes Misstrauen gegen Zynismus und Resignation sein, welche dazu einladen, Ungerechtigkeit und Diskriminierung als unabänderlichen Fakt zu dulden und sich aus gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozessen zurückzuziehen. 
Darüber hinaus liegt es in der Natur der Sache, dass grimdark Romane eine Menge potenzieller Trigger enthalten, die – gerade im Zusammenhang mit fehlenden oder nur lückenhaften Informationen darüber, welche genau es sind – Grimdark-Fantasy weniger zugänglich machen, weil viele Lesende hier extra vorsichtig sein müssen.

Was bleibt? Was sollte bleiben?
Trotz seiner abflauenden Beliebtheit hat der Grimdark-Hype auch Spuren jenseits einer expliziten Gegenbewegung hinterlassen. Das Spektrum dessen, wer Protagonist*in eines Fantasyromans sein kann, hat sich erweitert, im Hinblick auf Diversity im klassischen Sinne, aber auch im Hinblick darauf, dass Protagonist*innen nun konfliktreichere Gefühle in Lesenden auslösen dürfen. Ich würde mir auch wünschen, dass einige Aspekte wie z.B.
  • moralisch ambige Hauptfiguren
  • die Abwesenheit allzu klarer Einordnungen von Handlungen, sodass Lesende diese Arbeit selbst leisten müssen
  • die Erfahrung, das gut gemeinte Handlungen nicht immer in Belohnungen/spürbaren Verbesserungen in der Welt resultieren
 vielleicht nicht in dieser Intensität und natürlich nicht allgegenwärtig, aber doch wahrnehmbar, in zeitgenössischer Phantastik präsent bleiben, da ich sie als echte Bereicherung empfinde.

Und auch wenn ich alle verstehe, die sich idealistischere Literatur wünschen, glaube ich, dass sich eine der Grundannahmen von Grimdark-Phantastik sich als sehr wertvoll für nachfolgende Trends erweisen könnte: Nämlich die, dass „ein guter Mensch sein“ keineswegs die langweilige Default-Einstellung jeder Person ist. Der Grund, wieso negativ gezeichnete Figuren manchmal interessanter als die Held*innen der Geschichte erscheinen und unter Umständen mehr Fans haben bzw. sogar gegen den Willen ihrer Schöpfer*innen zu Identifikationsfiguren werden, ist zum Teil darin begründet, das sie teilweise ikonischer/geheimnisvoller/besser ausgearbeitet sind als die „guten“ Figuren. Aber ein weiterer Grund ist meiner Meinung nach, dass sie als die interessante, rebellische Abweichung vom Standard des Guten erscheinen. Ein Wechsel der Perspektive hin dazu, dass die ein guter Mensch sein ein fortwährender, schwieriger Prozess inmitten von Strukturen ist, die Anreize für das Gegenteil setzen, könnte die Grundlage dafür sein, die Faszination des Bösen mit der Faszination des Guten abzulösen. 

Anhang – einige der einflussreichsten Grimdark-Romane der letzten 30 Jahre (aus meiner Perspektive)
  • Glenn Cook: „The Black Company” 
    • Dieses Buch um eine Gruppe von Söldnern wird immer wieder genannt, wenn das Gespräch auf Grimdark-Fantasy kommt, ich habe es allerdings nicht gelesen.
  • George R.R. Martin: „A Song of Ice and Fire” 
    • Um diese unvollendete Buchreihe kommt wohl niemand herum. Martin zeichnet darin eine detailreiche mittelalterlich anmutende Fantasywelt und verweilt bei prachtvollen Kleidern und aufwendigen Banketten ebenso wie bei Elend und Gewalt, die in-universe so selbstverständlich sind, wie sie für moderne Leser*innen empörend wirken. Zahlreiche Figuren aus verschiedenen Schichten und Fraktionen kommen zu Wort. Die auf den Büchern basierende Serie „Game of Thrones” war über Jahre ein gewaltiges kulturelles Phänomen, das bisherige Fantasymuffel an die Idee heranführte, dass es auch in diesem Genre komplexe Figuren und interessante Geschichten gibt, nur, um dann nach der großen Welle der Empörung über das enttäuschende Ende in nahezu vollkommener Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die letzten Bücher der Romanreihe werden jedoch nach wie vor mit Spannung erwartet. (Ich werde sie allerdings, fürchte ich, nicht mehr lesen – ich habe mittlerweile zu viel aus den ersten Büchern vergessen, und habe zu viel FOMO, um einem Reread den Vorzug vor dem Entdecken neuer Bücher zu geben.)
  • Joe Abercrombie: „The First Law” 
    • Ein wenig wie “A Song of Ice and Fire” war Joe Abercrombies “The First Law” eine dieser Serien, die ich gut fand, ohne die Begeisterung zu verstehen, die sie bei ihren Fans auslöste. In dieser lakonischen Trilogie schickt Abercrombie seine ganz eigene Version verschiedener Fantasy-Archetypen (der Barbarenkrieger, der Zauberer, der im Hintergrund die Fäden zieht, etc …) mit einer Menge Schuld und Trauma im Gepäck durch eine etwas kulissenhaft anmutende Welt. 
  • R. Scott Bakker: „The Prince of Nothing”
    • Der Hintergrund dieser Serie erinnert an das Silmarillion, die Schilderung eines von den Intrigenspielen korrupter Herrscher gelenkten, von vornherein fragwürdigen „Kreuzzugs“ bedient Erwartungen, die man an Grimdark-Fantasy hat, aber der unentschuldigend introspektive Schreibstil ist ungewöhnlich und meiner Meinung nach eine der großen Stärken der Serie. Er, zahlreiche bemerkenswert zitierfähige Passagen und die eine wirklich sympathische Figur der Reihe gleichen den Mangel an weiblichen Figuren mit Agency und die entschieden zu große Freude des Autors an unnötigen Sonderzeichen aus und haben Bd. 2 der Serie bei allem, was ich problematisch fand, zu einem Buch gemacht, über das ich viel nachgedacht habe.
  • Mark Lawrence: „Broken Empire” 
    • Auf die Frage, ob Jorg of Ancrath ein unerträglicher Edgelord oder einer der besten Protagonisten des Fantasygenres ist, wird man von verschiedenen Leser*innen der Broken-Empire-Trilogie verschiedene Antworten erhalten (ich vermeide gerade bewusst einen Reread, weil ich ahne, dass sich meine Position dazu mittlerweile geändert hat), aber seine poetisch erzählte Geschichte war definitiv eines der aufsehenerregendsten Fantasy-Debüts der letzten Jahre.
  • R.F. Kuang: „The Poppy War”
    • Wegen des Schulsettings am Anfang der Serie und der relativ jungen Hauptfigur(en) landen „The Poppy War“ und die Folgebände gerne mal gegen den Willen der Autorin im YA-Regal von Buchläden, haben dort aber eher wenig zu suchen. Denn die vom China des 20. Jahrhunderts inspirierte Geschichte, die u.a. das Massaker von Nanking spiegelt, ist nur sehr eingeschränkt für junge Leser*innen zu empfehlen. Der Schreibstil und die flapsigen Dialoge wären in einem YA-Roman allerdings nicht fehl am Platze gewesen. 
  • N.K. Jemisin: „Broken Earth”
    • Dieses Buch ist eine schonungslose Abrechnung mit rassistischer Diskriminierung und Sklaverei. Es schildert eine Welt, die so davon gezeichnet ist, dass sie zerstört werden muss, und das Überleben in ihren Trümmern. (Ja, ich weiß, dass einige Leute nicht glücklich darüber wären, die Trilogie als Grimdark klassifiziert zu sehen, weil sie diesem politische Apathie als Merkmal zuschreiben, aber ich sehe Grimdark nicht notwendigerweise als unpolitisch).
  • Jenny-Mai Nuyen: "Die Töchter von Ilian"
    • Ein weiterer Roman, der klassische Fantasy-Tropes auf den Kopf stellt, und lyrisch erzählt, wie die großen, idealistischen Pläne der Figuren an einer chaotischen Welt zerbrechen. 
  • Marlon James: "Schwarzer Leopard, Roter Wolf"
    • Dieser experimentell erzählte Roman führt Lesende in ein alternatives mittelalterliches Afrika voller Magie und Gewalt. Die zugrundeliegende Geschichte und Mythologie sind sorgfältig recherchiert, der Protagonist nicht sympathisch, aber definitiv einprägsam und interessant.
  • Honorable Mentions (Bücher, die nicht so beliebt und einflussreich, aber besonders repräsentativ und/oder interessant sind):
    • Michael R. Fletchers “Beyond Redemption” liefert die düstere Version einer responsive Reality: Hier verformt sich die Welt, um die Wahnvorstellungen psychisch kranker Menschen wahr werden zu lassen. Es führt derzeit Mark Lawrence‘ Grimdark-Ranking an. 
    • Anna Smith Sparks „Empire of Dust“ wartet mit einem ungewöhnlichen Stream-of-Consciousness-Schreibstil auf. 
    • Seth Dickinsons „The Traitor Baru Cormorant” setzt sich unter anderem mit Kolonialismus und dem hohen Preis des Kampfes dagegen auseinander. Die (lesbische) Hauptfigur ist eine der spannendsten Fantasprotagonistinnen, die ich kenne. 
    • Sarah Chorns in eigenwilliger, poetischer Sprache gehaltener Roman „Seraphinas Lament“ zieht seine Inspiration aus einigen der dunkelsten Kapitel der Geschichte der Sowjetunion. 
    • In Deutschland hat z.B. Elea Brandt mit „Opfermond“ einen Fantasythriller in geschrieben, der mit viel Diversity im Figurenensemble und einer kunstfertigen Umsetzung vertrauter Tropes ebenso wie neuer Ideen aufwartet.

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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