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Gelesene Bücher – rezensieren, dokumentieren, einfach genießen?

Swantje Niemann • Aug. 12, 2022
Aufgeschlagenes Notizbuch mit schwarzem Papier, auf das viele kleine ausgeschnittene Buchcover geklebt sind.

Ich habe seit 2015 für Literatopia, das Phantast-Magazin, meine Autorinnenseite und meinen mittlerweile gelöschten ersten Buchblog ein paar hundert Buchrezensionen geschrieben. Doch in den letzten Jahren habe ich in dieser Hinsicht weniger gemacht. Das tut mir ein wenig leid, denn Rezensionen sind eine Möglichkeit, Autor*innen – gerade denen, deren Bücher nicht in Buchläden ausliegen oder allgemein zu wenig Aufmerksamkeit bekommen – mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. 


Das Ausformulieren meiner Überlegungen darüber, welche Emotionen ein Buch in mir geweckt hat, was darin gut und was weniger gut funktioniert hat, hat mir auch geholfen, mich als Autorin weiterzuentwickeln und meine eigenen Reaktionen auf Literatur zu reflektieren. Und nicht zuletzt bin ich durch Literatopia und die Zusendung von Rezensionsexemplaren auf spannende Bücher aufmerksam geworden. 


Allerdings nehme ich schon seit längerer Zeit nur noch sehr selten Rezensionsexemplare an. Denn es ist eine echte Erleichterung, ein Buch lesen zu können und nicht innerlich aufzustöhnen, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nichts Interessantes dazu zu sagen habe – es gibt Bücher, zu denen keine ausgeprägte Meinung habe, und deren Rezension dementsprechend sehr nahe an einer bloßen Inhaltsangabe wäre. Manchmal berühren Bücher wichtige Themen, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich sie in der Rezension ansprechen sollte, aber gleichzeitig weiß ich nicht genug über sie, um ihre Darstellung qualifiziert zu bewerten. Gelegentlich ist ein Buch auch nichts für mich. Ein Buch, das ich privat lese, kann ich dann einfach abbrechen, eines, das ich rezensieren soll, dagegen nicht.


Mir ist erst aufgefallen, dass mit dem Rezensieren jeden gelesenen Buchs auch ein gewisses Gefühl des Drucks einherging, als ich damit aufhörte. Es war nicht notwendigerweise ein unangenehmer Druck – er hat mich dazu bewegt, mehr Zeit mit Lesen zu verbringen, als ich es normalerweise getan hätte, und das ist angesichts der vielen Ablenkungen von Literatur, die es derzeit gibt, durchaus etwas Positives. Falls man also mehr und analytischer lesen und nebenbei Autor*innen unterstützen möchte, ist es wahrscheinlich keine schlechte Idee, sich vorzunehmen, jeden Monat eine bestimmte Anzahl von Rezensionen auf einer der vielen dafür zur Verfügung stehenden Plattformen hochzuladen. 


Aber ich merke auch, dass es mir guttut, mich weniger mit Rezensionen unter Druck zu setzen. Ich rede jedoch nach wie vor gerne über Bücher, mache mir hin und wieder Notizen, was mir in gelesenen Büchern handwerklich aufgefallen ist, und überschütte Menschen online wie offline mit Leseempfehlungen, wenn ich den kleinsten Anlass dazu sehe. Und die langen, ausführlicheren Buchrezensionen für den Phantast schreibe ich nach wie vor sehr gerne.


Ich bin dazu übergegangen, zu notieren, welche Bücher ich noch lesen möchte, sie abzuhaken, und auch festzuhalten, wie viele Bücher ich in einem Monat gelesen habe. In dieser Form eine Rückschau auf den Monat zu haben, erinnert mich daran, dass nicht annähernd so viel Zeit ungenutzt verflogen ist, wie es mir manchmal im Rückblick erscheinen will, und es ist auch eine Motivation, mehr zu lesen. Außerdem helfen mir meine Notizen, mich besser an gelesene Bücher zu erinnern.



Lesen ist nach wie vor meine liebste Freizeitbeschäftigung, aber auch hier stellen sich manchmal Flauten ein, in denen diverse soziale Netzwerke leichter verfügbare Unterhaltung versprechen. Allerdings birgt auch das gelesene Bücher Zählen das seine eigenen Fallstricke, selbst, wenn es nicht mal öffentlich passiert: Die Dokumentation der gelesenen Bücher kann dazu verleiten, Bücher zu schnell zu lesen, um sie noch in diesen Monat, noch in dieses Jahr zu quetschen. 


Ist es also die beste Methode, Bücher einfach zu genießen, und alle Gedanken dazu im eigenen Kopf und vielleicht im Gespräch mit Freunden und Familie zu lassen? Ich glaube, für mich ist eine Kombination aus allen drei hier vorgestellten Methoden ideal: Bücher rezensieren, wenn ich unbedingt mehr Leuten davon erzählen möchte. Immer bereit sein, mit begründeten Buchempfehlungen herauszuplatzen. Vermerken, was und wie viel ich lese, aber mir zunächst bescheidene Ziele setzen, die ich mit der Zeit erweitere, sodass ich mich nicht zu sehr unter Druck setze, schnell durch Bücher zu hetzen. 


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"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Die Bücher
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Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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