Warum lieben Fantasy-Autor*innen Monarchien?

Swantje Niemann • 12. September 2022
Rostige Krone liegt seitlich auf Moos

Ich habe – wie eine Menge Leute – die Gelegenheit genutzt, mir auf Youtube legal die erste Episode von „House of the Dragon“ anzusehen. Mein Eindruck: Wer „Game of Thrones“ mochte und gerne mehr davon hätte, was die Serie ausgezeichnet hat, dürfte auch „House of the Dragon“ mögen. Ich persönlich hätte mir tatsächlich gewünscht, dass das Prequel sich etwas weniger nach „Mehr von dieser Sache, die ihr kennt und mögt“ anfühlt, aber das ist nicht so relevant für diesen Artikel. Relevant ist, dass ich dadurch wieder mal darüber nachgedacht habe, wieso so viele erfolgreiche Geschichten im Fantasygenre um Könige, Adelshäuser und Panik um die Thronfolge kreisen.


Fantasy-Literatur hat nach wie vor den Ruf, rückwärtsgewandter als Science Fiction zu sein – vor allem wegen der häufig von der Vergangenheit inspirierten Settings. Ich denke jedoch, dass bei vielen Autor*innen mehr als Nostalgie für eine Vergangenheit, die so nie existiert hat (aber trotzdem gerne von Leuten beschworen wird, die „historische Korrektheit“ fordern) oder die Nachahmung von frühen Klassikern des Genres dahintersteht, dass sie immer wieder Geschichten erzählen, in denen Adlige oder König*innen die großen Entscheidungen treffen. 


Ich denke, einer der wichtigsten Gründe dafür ist praktischer Natur: Gerade bei epischer Fantasy geht es um wortwörtlich weltbewegende Konflikte. Aber gleichzeitig ist selbst in den größten Epen nur Platz für eine bestimmte Anzahl von Akteur*innen, deren Charakter und Motive man in voller Tiefe erkunden kann. Und bei Nebenfiguren passiert es schnell, dass Lesende sie nicht mehr auseinanderhalten können, wenn es zu viele von ihnen gibt. Entsprechend bieten sich Settings an, in denen relativ wenige Schlüsselfiguren statt größeren Gremien wichtige Entscheidungen treffen. Auch lassen sich Entscheidungsprozesse einzelner Menschen oft besser dramatisch inszenieren als die größerer Gruppen oder große gesamtgesellschaftliche Trends (wobei letzteres zum Beispiel Fonda Lee in ihrer „Green Bone Saga“ gut gelingt).


Aber ich denke, es sind nicht nur praktische Erwägungen, die Autor*innen dazu bringen, immer wieder über Königshöfe zu schreiben. Ich hatte erwähnt, dass die existierende literarische Tradition nur ein Faktor von mehreren ist, aber sie ist ein Faktor. Märchen, Sagen, mittelalterliche Epen (sehr bekannt sind zum Beispiel Beowulf oder die immer wieder aufgegriffene Artus-Sage) und nicht zuletzt Klassiker des Fantasy-Genres haben eine starke Tradition von Geschichten rund um (gute) Könige und ihren Hofstaat. Und das ist etwas, das Autor*innen aufgreifen können, entweder, um sich in diese Tradition einzureihen, oder aber um sie zu dekonstruieren.


Letzteres ist relativ einfach und gibt auch gute Geschichten ab. Denn einer der Gründe, wieso Monarchien und Aristokratien (oder so ziemlich jede Situation, in der eine inkompetente oder unsympathische Person unverdient Macht hat und missbrauchen oder einfach nur ungeschickt einsetzen kann) einen so guten Hintergrund für Geschichten abgeben, ist eben, dass sie massive Probleme und eine Menge Konfliktpotenzial abgeben. Erbfolgestreitigkeiten, unfähige Herrschende, die völlig unqualifiziert für ihre Position sind und dergleichen liefern eine Menge Plotpunkte. Ich hatte ja schon einen Blogpost darüber geschrieben, dass Geschichten häufig einen Teil ihrer Spannung daraus beziehen, dass es Figuren in Rollen verschlägt, für die die sie ungeeignet sind oder in die sie zumindest erst hineinwachsen müssen. Ein Setting, in dem Macht vererbt wird, beschwört eine Menge dieser Situationen herauf. 


Ich würde allerdings daran zweifeln, ob Autor*innen, die in ihren Büchern demonstrieren, wieso eine starr stratifizierte Gesellschaft mit sehr mächtigen Individuen an der Spitze nicht so toll ist, damit per se etwas Subversives oder Gesellschaftskritisches machen. Ich glaube nicht, dass eine relevante Anzahl von Menschen noch an Monarchie als das überlegene System glaubt, sodass ein Buch, das illustriert, wieso man nicht naiv auf den „guten König“ vertrauen sollte, wahrscheinlich eher so eine „haha, gut dass wir weiter sind“-Reaktion und wenig Nachdenken über die Gegenwart hervorruft. Erfolgreicher darin, sich als Fantasy-Geschichte kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, fand ich zum Beispiel den Film „The Shape of Water“, der sich die häufig von konservativeren Teilen der Gesellschaft idealisierten 50er-Jahre vorknüpft.


Ich glaube also nicht, dass es zwangsläufig ein Ausdruck von Sehnsucht nach einer vermeintlich einfacheren Vergangenheit ist, wenn Fantasy- (und auch einige Science-Fiction-)Autor*innen über Herrscherdynastien und Adelshäuser schreiben. Und wie so ziemlich jeder Gegenstand von Literatur kann dies je nach Ausführung spannend oder uninteressant sein. Es gibt einige Fantasyromane, die um König*innen und ihre Angehörigen kreisen, die ich sehr mag – Anfang des Jahres konnte mich zum Beispiel Tad Williams mit „Die Hexenholzkrone“ beeindrucken, einem Roman, in dem sich unter anderem ein älteres Königspaar sich damit abfinden muss, dass sie die nächste Generation nicht werden beschützen können.


Ich finde es aber trotzdem immer sehr erfrischend, wenn mir in einem Buch mal ein anderes System begegnet und wenn ich vor allem das Gefühl habe, dass Dinge in Bewegung sind. Hier fallen mir zum Beispiel die „Dandelion Dynasty“-Romane von Ken Liu ein, in denen Rebell*innen einen Kaiser stürzen und nun herausfinden müssen, wie sie besser mit der Macht umgehen. Oder die verschiedenen Herrschaftssysteme, die sich in „Die 13 Gezeichneten“ von Judith und Christian Vogt begegnen. Oder die blutigen Anfänge einer Republik, die Leser*innen in Brian McClellans „Promise of Blood“ beobachten. Oder die verschiedenen Nationen, die in Seth Dickinsons „The Masquerade“-Reihe mit dem Expansionswillen der „imperial republic of Falcrest“ konfrontiert sind (wirklich, lest diese Bücher – sie ziehen teilweise sehr runter, aber sind gleichzeitig so gut).


Mein Fazit: Es ist nicht per se ein Zeichen von Rückständigkeit oder politisch fragwürdig, wenn Fantasy-Autor*innen über Monarch*innen und Adlige schreiben und diese sind in mancher Hinsicht sehr praktisch fürs Erzählen (ein Grund, wieso Weltraum-Feudalismus auch bei Science-Fiction-Autor*innen beliebt ist – er kann in solchen Settings aber auch als eine Warnung vor der Verfestigung wirtschaftlicher und politischer Machtasymmetrien fungieren). 


Es kann sich aber auch lohnen, darüber hinauszudenken und sich entweder selbst andere Systeme auszudenken oder in der Geschichte nach Beispielen dafür zu suchen. Ich habe beispielsweise vor einer Weile eine sehr spannende Biographie über Niccoló Machiavelli („Be like the fox“ von Erica Benner) gelesen und bin dadurch an die interessante Geschichte von Stadtstaaten während der Renaissance erinnert worden. 


Die 10 Bände des Malazan Book of the Fallen in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 6. Juni 2025
Lohnen sich die 10.683 Seiten?
Altmodischer Globus
von Swantje Niemann 2. Mai 2025
Wie können fiktive Welten größer wirken, als sie tatsächlich sind?
Die Bücher
von Swantje Niemann 20. Januar 2025
Auch in der zweiten Jahreshälfte von 2024 habe ich viele gute, und einige großartige Bücher gelesen. Ich habe viel aussortiert, um bei einer übersichtlichen Liste zu landen.
Hand mit einer Wunderkerze vor dunklem Hintergrund
von Swantje Niemann 9. Januar 2025
2024 endet, 2025 beginnt, und damit gehen große Veränderungen einher
Die drei ersten Bände der
von Swantje Niemann 29. Juli 2024
Willkommen zu einem Artikel, der eine Lupe über circa fünf Buchseiten hält.
Vier Bücher mit dem Schnitt nach vorne, sodass man die Post-Its zwischen den Seiten sehen kann
von Swantje Niemann 24. Juli 2024
Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28. Dezember 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20. November 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 4. November 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Weitere Beiträge