Blog Post

Produktivität – Hacks und ihre Grenzen

Swantje Niemann • Mai 14, 2020
Grafik, die Gesamtanzahl geschriebener Wörter repräsentiert
Die Kerninformation dieses Posts ist wohl „Swantje mag Listen und Tabellen“, aber vielleicht könnt ihr darüber hinaus auch noch ein paar nützliche Infos mitnehmen. Denn in Ergänzung zu meinem „So kann man mit Notizbüchern und Journals dekorativ und genüsslich Zeit verschwenden“-Post kommt jetzt ein Beitrag darüber, wie z.B. die Visualisierung von Schreibfortschritten produktiver machen kann.

1. Produktiver Schreiben durch Visualisierung
Jahr für Jahr melden sich tausende Menschen beim NaNoWriMo, dem National Novel Writing Month, an, und nehmen sich vor, einen Roman (bzw. die erste Hälfte eines Romans – mehr zu Standard-Manuskriptlängen für Phantastik hier) zu schreiben. Letztes Jahr habe ich dazugehört, und war positiv überrascht, dass ich das Ziel von 50.000 Wörtern bereits vor Monatsende erreicht habe. Zeit zum Schreiben, die relative Abwesenheit von Ablenkungen und der Fakt, dass mir die Geschichte schon seit Jahren im Kopf herumspukte, waren dabei ein wichtiger Faktor. Aber ein weiterer dürften die psychologischen Mechanismen gewesen sein, die sich Seiten die des NaNoWriMo und auch Lernseiten wie Codecademy zu Nutze machen. 
Ich habe mir einmal angeschaut, was genau sie machen, um Lernende/Schreibende zu motivieren, am Ball zu bleiben. (Bei ein paar Sachen kann ich dazu aber nicht viel sagen – ich habe viele der sozialen Features von NaNoWriMo nie ausprobiert bzw. nicht so richtig verstanden, was die bewirken sollen.)
Etwas, das beide Seiten gemeinsam haben: Visualisierung von Fortschritten. 
Grafik, die pro Tag geschriebene Wörter repräsentiert
Sie halten z.B. die tägliche und gesamte Anzahl der geschriebenen Wörter fest oder zeigen, welche Lektionen bereits abgehakt sind. Das lässt sich auch gut zu Hause machen – sei es als schönes (und latent prokrastinatorisches) Projekt in einem Notizbuch oder per Excel. Gerade der Vergleich der täglichen Wordcounts lädt dazu ein, sich durch die Konkurrenz mit sich selbst anspornen zu lassen.
Wenn die angestrebte Manuskriptlänge bereits feststeht, oder beim Überarbeiten, bietet sich auch dieser Typ von Visualisierung an:
Manuskript-Ladebalken
Allerdings bergen diese Darstellungen ein Problem: Es ist ziemlich leicht, entmutigt zu werden, wenn der Balken nur langsam wächst und die Word-Count-Kurven unangenehm flach bleiben. Darum haben beide Seiten noch ein anderes Feature: Streaks – sie halten fest, an wie vielen Tagen in Folge Menschen (Teile von) Lektionen absolviert bzw. ihren Wordcount erweitert hat. 
Das ermuntert dazu, jeden Tag wenigstens ein bisschen zu machen – woraus dann oft überraschen mehr wird, und gute Angewohnheiten zu entwickeln. In meinen persönlichen Journals habe ich für Sachen, die ich möglichst täglich machen möchte, kleine Bubbles, die ich ausmale, selbst wenn ich nur ein kleines bisschen daran gearbeitet habe. Mein Ziel ist es, dass am Ende eines Monats die meisten davon ausgefüllt sind. 

Ausgefüllte und auszufüllende Bubbles, die Tage repräsentieren
2. Durch den ersten Entwurf fliegen
Events wie der NaNoWriMo setzen ein Zeitlimit und ermuntern dazu, viel zu schreiben, weil dadurch die Idee von „Irgendwann beende ich dieses Manuskript …“ entfällt. Allerdings ist das dort vorgegebene Tempo sehr schnell, und es einzuhalten hat für mich bedeutet, die eine oder andere rechercheintensive oder schwierige Szene erstmal zu überspringen und sehr, sehr viel Überarbeitungsarbeit einzuladen. Ein so hohes Tempo kann funktionieren, insbesondere, wenn die Handlung bereits relativ kleinteilig vorausgeplant ist oder wenn das Ziel erstmal ist, irgendetwas zu Papier zu bringen. Das empfiehlt sich z.B. gerade, wenn es der allererste Roman ist, der, nachdem er seine ehrwürdige Rolle als Übungsprojekt erfüllt hat, ohnehin meist ein komfortables Zuhause in einer Schublade findet. 
Aber gelegentlich arbeiten Vorgaben wie 50.000 Wörter in einem Monat auch gegen die Qualität des Manuskripts, weil sie einen Anreiz schaffen, nicht zurückzugehen und einen Handlungsverlauf gegen einen vielversprechenderen einzutauschen, da das den Fortschritt verlangsamen oder sogar zeitweise umkehren würde. 
Solche Vorgaben von außen können also hilfreich sein, aber es ist auch wichtig, zu wissen, wann sie es nicht sind und vielleicht eigene Ziele/Tracking-Methoden besser geeignet sind, um am Ende mit einem vollständigen Manuskript dazustehen.

3. Fürs Überarbeiten
Fürs Überarbeiten nutze ich To-Do-Listen, auf denen ich Dingen, die ich überarbeiten möchte, abhake, sowie die bereits erwähnten Fortschrittsbalken. To-Do-Listen helfen mir auch, den Überblick über meine Patron-Inhalte, Blogposts und Buchrezensionen zu behalten – die hake ich in zwei Spalten ab: „geschrieben“ und „online“. 
Als Ansatzpunkt für die Entscheidungen, wo Überarbeitungen nötig sind, empfehle ich mal wieder dieses Video.

4. Die Grenzen von Produktivitätshacks
Es gibt so einige Situationen, in denen auch das disziplinierteste Vorgehen und die cleverste psychologische Selbstmanipulation nichts bringen – und die zeigen, dass es meist ein Fehler ist, die eigenen Schreibfortschritte mit denen anderer zu vergleichen. Gründe, warum es mit dem Schreiben nicht klappen will, sind für mich persönlich folgende:
  • Keine Inspiration – das ist für mich kein valider Grund, wenn die Arbeit an einem Manuskript erstmal angefangen hat, aber es können bei mir durchaus Monate bis Jahre vergehen, bis ich nach einem abgeschlossenen Projekt wieder an einem neuen arbeiten kann
  • Die Idee für das Projekt ist noch nicht ausgereift genug
  • Ich habe noch nicht die Fähigkeiten/ die Reife um sie umzusetzen
  • Zu viele andere Projekte (z.B. habe ich während meiner Arbeit an meiner Masterarbeit erstmal meinen Roman zur Seite gelegt) – es gibt allerdings auch Menschen, die wunderbar mit mehreren Projekten gleichzeitig zurechtkommen
  • Stress/psychische Probleme/etc. – es gibt dieses Klischee von leidenden Künster*innen, aber das trifft auf mich überhaupt nicht zu. Damit ich schreiben kann, muss es mir (halbwegs) gutgehen
Bei vielen Menschen kommen noch externe Stressfaktoren, familiäre und berufliche Verpflichtungen hinzu, von denen zurzeit ich sehr wenige habe. Außerdem vernachlässige ich über der Produktion von neuen Büchern auch die Vermarktung derjenigen, die bereits erschienen sind. Meine Produktivität ist zu einem Großteil ein Produkt all der Dinge, um die ich mich derzeit nicht kümmern muss, womit ich mich in ziemlich großer Gesellschaft befinde – historisch hatten die meisten Autoren (kein generisches, sondern ein bewusst gesetztes Maskulinum) Leute, die ihnen lästige Alltagsarbeit abgenommen haben. Also, wie gesagt: Wie viel jemand in einer bestimmten Zeit schreiben kann, sagt wahrscheinlich mehr über die Situation als über die Person aus. 

Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28 Dez., 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20 Nov., 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 04 Nov., 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Die Bücher
von Swantje Niemann 22 Apr., 2023
Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
Print-Ausgaben von
von Swantje Niemann 13 Apr., 2023
Zwei sehr verschiedene Bücher erzählen beide in der ersten Person. Ich schaue mir mal genauer an, was ihren Ansatz dabei unterscheidet und wieso das in beiden Fällen sehr gut funktioniert.
Titelseite einer Ausgabe von
26 Nov., 2022
Zusammenfassung, Rezension und ein bisschen Literaturepochen-Kontext
Rostige Krone liegt auf Moos
von Swantje Niemann 12 Sept., 2022
Ein paar Überlegungen zu einem Lieblingstrope des Fantasygenres.
Aufgeschlagenes Notizbuch mit schwarzem Papier, in das viele kleine Buchcover eingeklebt sind
von Swantje Niemann 12 Aug., 2022
Eine kleine Reflektion über Buchjournals, Rezensionen und dergleichen
Alte Bücher in einem Regal
von Swantje Niemann 10 Juli, 2022
Fantasy, auch solche in von der Vergangenheit inspirierten Settings, kann Geschichte nicht einfach kopieren. Trotzdem ist die Beschäftigung damit mitunter eine echte Bereicherung fürs Schreiben.
Die Bücher
von Swantje Niemann 03 Juni, 2022
5 Buchtitel, die sofort meine Neugier geweckt haben.
Weitere Beiträge
Share by: