Rezension: Chimamanda Ngozi Adichie - Americanah

Swantje Niemann • 20. März 2018

In "Americanah" spielt Autorin Chimanda Ngozi Adichie ihre scharfe Beobachtungsgabe aus. Das Buch eröffnet spannende Perspektiven auf England, die USA und Nigeria.

Klappentext

Die Liebe von Ifemelu und Obinze beginnt im Nigeria der neunziger Jahre. Dann trennen sich ihre Wege: Während die selbstbewusste Ifemelu in Princeton studiert, strandet Obinze als illegaler Einwanderer in London. Nach Jahren treffen sie sich in Lagos wieder. Und stehen plötzlich vor einer Entscheidung, die ihr Leben auf den Kopf stellt.

Ein virtuoser und gegenwartsnaher Roman einer der großen jungen Stimmen der Weltliteratur, voller literarischem Wagemut, Menschlichkeit und sprachlicher Schönheit.

Handlung

Der Klappentext lässt eine Liebesgeschichte als primären Plot vermuten, aber obwohl die Beziehung und Wiederbegegnung von Imefelu und Obinze eine Klammer für die Geschichte darstellt, vergehen tatsächlich Jahre, ohne dass die beiden Kontakt haben.

Stattdessen geht es über weite Strecken darum, wie sie versuchen, in Amerika oder England Fuß zu fassen, Ifemelu als Studentin, Obinze trotz seiner Bildung als illegaler Einwanderer, der schließlich desillusioniert nach Nigeria zurückkehren muss.

Das Leben beider ist wechselvoll und sie kommen nicht nur mit den verschiedensten Menschen in Kontakt, sondern erleben auch, wie rasant sich das Leben ihrer ehemaligen Freunde ändert. Schließlich kehren sie beide in ein Nigeria zurück, das sich in ihrer Abwesenheit verändert hat.

Die Geschichte wird aus den Perspektiven Ifemelus und Obinzes erzählt. Immer wieder wird die Chronologie durch Rückblenden unterbrochen, an einen großen Teil der Handlung erinnert sich Ifemelu, während sie sich Zöpfe flechten lässt. Trotzdem ist es immer leicht, dem Geschehen zu folgen.

Ein Thema, dass sich durch das ganze Buch zieht, ist Ifemelus Blick als in Amerika lebende Afrikanerin auf die dort geborenen Afro-Amerikaner und vielen kleinen und großen Auswirkungen, die die Hautfarbe dort immer noch darauf hat, wie Menschen gesehen und behandelt werden.

Sie schreibt auch einen Blog zu diesem Thema und immer wieder sind Beiträge daraus in den Text eingeflochten. Ifemelu ist eine kritische, kluge Beobachterin und steuert (zumindest für weiße Europäer) ungewöhnliche Perspektiven und Informationen bei.

Der Roman folgt ihr durch drei längere Beziehungen, Phasen des Verlorenseins und Phasen der Zufriedenheit und hält ihre Begegnungen mit den verschiedensten Menschen fest. Es geht viel darum, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe Menschen prägt, ohne sie zugleich zu definieren.

Figuren

Ifemelu ist eine wortgewandte, scharfsichtige Beobachterin. Klug, willensstark und zutiefst menschlich hat sie viel Identifikationspotential. Es war eine gute Entscheidung, ihr Leben über lange Zeit zu verfolgen und es ist besonders interessant, zu lesen, wie sie nach Jahren nach Nigeria zurückkehrt.

Auch Obinze ist eine gut gezeichnete Figur. Der Leser kann gut nachvollziehen, was Ifemelu an ihm anziehend findet, aber zugleich wird er nicht idealisiert und trifft eine große Fehlentscheidung.

Im Buch kommen viele Figuren vor, die Obinze und Ifemelu teilweise jahrelang kennen und es ist spannend, auch deren Entwicklung mitzuverfolgen. Man nimmt der Autorin ab, dass die Nebenfiguren ihr Leben weiterleben, wenn die Point-of-View-Figuren den Raum verlassen.

Stil

„Americanah“ ist in einem Stil geschrieben, der einem die Gedanken und Figuren gut nahe bringt und sie und ihre Sichtweisen durch geschickt eingestreute Details charakterisiert. Das Buch ist gleichmäßig spannend und hat keine unangenehmen Längen. Man hört nie auf, am Leben der Figuren Anteil zu nehmen.

Obwohl die Übersetzung sehr gut gelungen ist, empfiehlt es sich wahrscheinlich, Americanah auf Englisch zu lesen, weil viel über die Sprechweise der Figuren oder charakteristische Ausdrücke, die sie verwenden, geschrieben wird. Zwar kann man in der Übersetzung so gut wie immer erahnen, welcher amerikanische Ausdruck oder welche Art von Englisch gemeint ist, aber ich vermute, dass es in der Originalsprache noch ein wenig besser funktioniert.

Fazit

„Americanah“ ist ausgezeichnet geschrieben, hat lebendige Figuren und regt immer wieder zum Nachdenken an. Das Buch setzt sich mit einer Vielzahl von Themen auseinander, präsentiert verschiedene Perspektiven und konnte mich überzeugen, obwohl ich eigentlich eher selten Bücher des Genres lese. Sehr empfehlenswert.

Englischer Originaltitel: Americanah, übersetzt von Anette Grube

Fischer E-Books, April 2014

ISBN:9783104020495

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Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. 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