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Schreiben: Tipps & Analysen – Figuren-Pet-Peeves

Swantje Niemann • Sept. 27, 2018

Hier wird es ein wenig subjektiv, da ich über Charakter-Tropes in Fantasy schreibe, die mich regelmäßig nerven, für andere Leser*innen jedoch zu funktionieren scheinen.
(Auch ich pfeffere Bücher nicht deswegen in die Ecke, aber verdrehe hin und wieder die Augen, wenn sie besonders aufdringlich sind). In diesem Post stelle ich sie (womöglich etwas bissig und überzeichnet) vor und schreibe, wie man sie meiner Meinung nach elegant vermeiden kann.
Also, los geht’s: Hier sind drei meiner Pet-Peeves in Büchern.

1. Figuren, die nur theoretisch eine dunkle Seite haben
Ein Trope, an dem ich mich häufiger störe, ist der des Charakters, über den wir zwar hören, dass er eine gefährliche, dunkle Seite/ moralisch fragwürdige Vergangenheit hat, aber sie nie zu sehen bekommen. Ein Beispiel dafür (auch wenn ich hier relativierend anfügen möchte, dass sie schon in Bd. 2 besser mit der Thematik umgeht) wäre Sarah J. Maas' „Throne of Glass“ - ihre Hauptfigur ist eine berüchtigte Assassinin mit dunkler Vergangenheit, aber das wirkt, soweit ich mich erinnere, eher wie ein Accessoire als wie etwas, das tatsächlich einen Einfluss auf ihre Handlungen und Emotionen hat oder sogar – keuch! – eine etwas zwiespältigere Publikumsreaktion auf sie hervorrufen könnte.
Die Idee bei Antihelden ist doch schließlich, dass sich die Leser*innen nicht einfach zurücklehnen und sich darauf verlassen können, dass der Protagonist schon das Richtige tut. Ich fühle mich ein bisschen betrogen, wenn Autoren einer Figur ein Attribut wie „Assassine“ geben, weil es düster und cool klingt, sich dann aber nicht den Konsequenzen stellen.
Mögliche Lösungen
1. Charaktere, deren dunkle Seite real ist und sichtbare Auswirkungen hat. Ein Beispiel hierfür wäre Jorg of Ancrath aus Mark Lawrence' „Broken Empire“-Reihe, der kaum ein Tabu ungebrochen lässt. Dadurch polarisiert er natürlich, aber diejenigen Leser, die nicht nach den ersten paar Seiten das Buch gegen die Wand schleudern, sind in der Regel ziemlich angetan. Ein ambivalenterer Charakter ist John Cleaver aus Dan Wells' „Ich bin kein Serienkiller“ – er versucht verzweifelt, ein guter Mensch zu sein, doch seine antisoziale Persönlichkeitsstörung (Soziopathie) gepaart mit einer Faszination für Tod und Gewalt machen es ihm schwer, und er ist oft nur einen kleinen Schritt davon entfernt, seine eigenen Regeln zu brechen und die Sympathie des Publikums zu verlieren. Das Ganze ist so gut und empathisch geschildert, dass John eine faszinierende Figur ist, mit der man gerne mitfiebert, obwohl seine Gedanken und Verhaltensweisen oft beängstigend sind.
2. Charaktere mit einem völlig anderen Moralverständnis, die gewissermaßen dem Zwang enthoben sind, nach den Normen unserer Kultur zu handeln, also eher amoralisch als unmoralisch sind. Das ist besonders typisch für Aliens, künstliche Intelligenzen und die seltsameren Elfen(-substitute) in Fantasy. Das eliminiert Ambivalenz auf der Seite des Lesers, aber auch das Identifikationspotenzial dieser Figuren. Beispiel: die undurchschaubare K.I. „Das Rote“ aus „Morgengrauen“ und den Folgebänden von Linda Nagata.
3. Hauptfiguren, denen nicht Charakterzüge oder eine Vergangenheit aufgezwungen wurden, die sie „dunkel“ machen sollen, aber nicht zu ihnen passen. Das funktioniert sogar in düsteren Fantasy-Welten verblüffend gut, wie Peter Newmans „Vagant“ beweist. Hier bewegt sich ein zwar schlagkräftiger, aber auch friedfertiger und fürsorglicher Held durch eine postapokalyptische Welt – und zieht mit seiner mitfühlenden Art sogar Dämonen auf seine Seite. Gut ist nicht gleich schwach.

2. Figuren, denen keine Gefühle erlaubt sind (oder nur, wenn sie durch eine übertrieben tragische Vergangenheit entschuldigt werden)
Das beobachte ich nicht ausschließlich, aber besonders bei männlichen Figuren – gerade in Romantasy: Die Figur (oft das oberkörperfrei auf dem Cover abgebildete Love-Interest der Protagonistin) ist immer stoisch und stark. Es sei denn, unser sonst so unnahbarer Held bricht einmal so richtig zusammen, um von unserer Heldin geheilt zu werden (weil vorher mit jemandem über seine Probleme reden ja nicht drin ist).
Und natürlich hat sein Zusammenbruch dann keine Ursache wie ein Übermaß an Alltagsstress oder psychische Probleme (zumindest nicht so etwas wie eine Depression, Angststörung oder Zwangshandlungen, PTBS ist gerade noch erlaubt), sondern ist immer Folge eines großen Verlusts/Verrats/Traumas/alles zusammen in der Vergangenheit.
Dürfen (männliche) Buchfiguren nicht auch mal an ihrem Alltag verzweifeln und dafür vom Erzähler, aber auch von anderen Charakteren ernst genommen werden? Ich hätte absolut nichts gegen einen Vampirkrieger, der ausgelaugt nach Hause kommt, sieht, dass seine Waschmaschine kaputtgegangen ist und die Küche überflutet hat, und erstmal in Tränen ausbricht, weil ihm das gerade einfach alles zu viel wird.
Kleinere Probleme, die trotzdem emotional erschöpfend sind, können Figuren sofort viel menschlicher und sympathischer machen, und irgendwie stört mich diese Erwartungshaltung an Figuren, dass es nur zwei Sorten von Problem gibt: 1.) muss stoisch hingenommen werden 2.) erfordert einen Rachefeldzug. Mir gefällt die Implikation nicht, dass Figuren schon eine sehr, sehr dramatische Begründung brauchen, um ausnahmsweise mal nicht zu funktionieren.
Damit im Zusammenhang steht auch die ÜTV (übertrieben tragische Vergangenheit), die oft zum Einsatz kommt, wenn die Figur eine Rechtfertigung für irgendein fragwürdiges Verhalten braucht, sich aber flach und eben übertrieben anfühlt. Es ist möglich, eine kleine emotionale Verletzung bedeutsam erscheinen zu lassen, wenn die Leser die Figur gut genug kennen und nachfühlen können, wieso sie darunter leidet. Wenn aber die Vergangenheit irgendwie künstlich und aufgesetzt erscheint und Leser*innen in Gedanken nachrechnen, wann die Heldin überhaupt Zeit für die neueste schreckliche Episode in ihrer Vergangenheit hatte, von der wir gerade erfahren haben (hallo, „Penny Dreadful“), ist irgendetwas schiefgelaufen.
Mögliche Lösungen
Steht eigentlich schon im Text: Gebt der Figur kleinere Probleme, und macht die Figur selbst so interessant, dass diese dem Publikum signifikant erscheinen. Ein schönes Beispiel hierfür ist Imriel aus „Kushiels Scion“. Zwar hat auch er eine traumatische Vergangenheit, aber er hat auch viel kleinere Probleme, wie z.B., dass seine Adoptiveltern einen beinahe mythischen Heldenstatus genießen und er sich fragt, wie er je aus ihrem Schatten treten soll, sowie die diversen kleinen Konflikte, die nun einmal mit dem Erwachsenwerden einhergehen.
Auch Brandon Sanderson nimmt in Kauf, dass die Handlung von „Oathbringer“ (Stormlight-Archives 3) langsamer voranschreitet, um sich dafür Zeit für die inneren Konflikte seiner Figuren zu nehmen, die schwer an Drogenabhängigkeit, Schuld oder psychischen Problemen tragen.
Spoiler für "The Blood Mirror" Ein weiteres Beispiel sind Kip und Tisis im 4. Band von Brent Weeks' „Lightbringer“-Serie. Sie fechten Seite an Seite einen bedeutenden Kampf aus und sind starke, fähige Charaktere, aber haben es mit noch einem weiteren Feind zu tun: ihren eigenen Körpern. Kip hat die Serie als ein unsicherer, übergewichtiger Junge begonnen, und obwohl er jetzt, mehrere Bücher später, ziemlich fit ist, ist sein Gewicht noch immer ein wunder Punkt für ihn. Tisis leidet unter Vaginismus (sie kann lange nicht so mit ihrem Partner schlafen, wie sie es von sich selbst erwartet, weil sich jedes Mal ihre Scheidenmuskulatur verkrampft). Sie schämt sich dafür und hat das Gefühl, versagt zu haben. Spoiler Ende
Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren und die Erfahrung, teilweise keine Kontrolle über den eigenen Körper zu haben, sind Probleme, die diese Figuren noch einmal menschlicher und realistischer wirken lassen.

3. Die umschwärmte Figur ohne Eigenschaften
Unsere Hauptfigur taucht neu irgendwo auf. Und plötzlich richten sich alle Blicke auf sie. Die quirlige, beste Freundin mit ihren kleinen Ticks und ohne eigenes Leben taucht auf, zwei bis unendlich viele geheimnisvolle Männer suchen ihre Nähe, und sie muss sich zwischen ihnen entscheiden, und irgendwie hängt noch die Rettung der Welt von ihr ab.
Das Problem: Es ist für Leser*innen nahezu unmöglich nachvollziehbar, was unsere Hauptfigur so sehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, gerade, wenn ihre Auserwähltheit dabei kein Faktor ist. Schließlich versichert sie ja ständig, wie unscheinbar sie aussieht, hat keine starke Handlungsmotivation, kein ausgeprägtes Charisma, das andere in ihren Bann zieht, keine Expertise, die anderen Bewunderung abnötigt ... nichts.
Okay, ich verstehe, wozu solche Charaktere da sind. Nahezu ohne eigene Persönlichkeit (oder mit der Persönlichkeit Typischer-Teenager-wie-ihn-sich-erwachsene-Autoren-vorstellen) bieten sie eine ideale Projektionsfläche für das Publikum. Und ein bisschen Wunscherfüllung („Vielleicht denke ich ja nur, dass ich normal und langweilig bin, aber in Wahrheit ist da etwas Besonderes an mir, das die Welt irgendwann erkennen wird“) ist auch prinzipiell nichts Schlechtes.
Aber ich lese, um neue Menschen kennenzulernen. Um mich in die Gedankenwelt von Figuren hineinzuversetzen, die andere Hintergründe, andere Werte, anderes Wissen haben als ich, und die Welt aus anderen Perspektiven betrachten zu lernen (weswegen ich mehr Vielfalt in Literatur nicht nur aus politischen, sondern auch aus ganz egoistischen Gründen begrüße). Eine gewisse Fremdheit ist für mich ein Plus und eine plastische, entwickelte Persönlichkeit eine wichtige Voraussetzung dafür, dass mich eine Figur wirklich überzeugt.
Und es stört mich, wenn alle eine Figur toll finden, aus keinem anderen Grund, als das der/die Autor*in es so beschlossen hat.
Mögliche Lösungen:
1. Eine offensichtliche Lösung: Macht die Hauptfigur interessant. Lasst sie ihren Auserwähltenstatus akzeptieren oder gar selbst erkämpfen. Macht sie zu einer schillernden Persönlichkeit, die aus gutem Grund Interesse weckt. Hier ist noch ein Beispiel aus den „Lighbringer“-Romanen: Kompetent, charismatisch und listig lässt Gavin Guile es plausibel erscheinen, dass er sowohl begeisterte Gefolgsleute als auch erbitterte Feinde in Hülle und Fülle hat.
2. Schreibt eine Underdog-Figur und werft ihr die Freundschaften, die Bewunderung, etc. nicht hinterher. Lasst sie sich diese Dinge langsam erarbeiten, während sich ihr Charakter entwickelt. Aber macht auch sie interessant, mit inneren Konflikten und starken Interessen. Ein Beispiel: Thomas Senlin aus „Im Turm“ (Josiah Bancroft). Der unbeholfene Dorfschullehrer muss hart darum kämpfen, von anderen Figuren respektiert zu werden, auch wenn er am Ende (auch dank der großen Charakterentwicklung, die er durchläuft) damit Erfolg hat.

Bevor ihr "Drúdir" durchkämmt ...
Ich nehme nicht für mich in Anspruch, all das in meinen eigenen Büchern elegant umschifft zu haben – es sind aber sicher Dinge, denen ich in zukünftigen Projekten mehr Aufmerksamkeit widmen werde.
Und noch eine kleine Anmerkung: Ja, es gefällt mir auch nicht, ständig das englische „Trope“ zu benutzen, aber ich habe bisher keine echte deutsche Entsprechung gefunden. Es gibt zwar auch im Deutschen das Wort „Trope“, aber es ist, soweit ich weiß, in seiner Bedeutung nicht ganz deckungsgleich und ziemlich unbekannt. Motiv oder Muster könnte funktionieren, aber beide Wörter haben noch zusätzliche Bedeutungen. Also bleibe ich mal bei „Trope.“

Und wie sieht es bei euch aus?
Auf welche Tropes/ Charaktere könntet ihr gut verzichten? Was sind eure Kritikpunkte an Büchern, die euch ansonsten gut gefallen?

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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