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Kommentar: Fantasy & historische Korrektheit

Swantje Niemann • Okt. 04, 2018

Gerade wird mir wieder ein Haufen Tweets in die Timeline gespült, die ich gefühlt alle schon mal gelesen habe. Anscheinend ist es eines der weniger bekannten Gesetze des Universums, dass sich alle paar Monate ein paar Leute sehr laut online aufregen, weil in einer phantastischen, an eine historische Epoche angelehnten Geschichte in irgendeinem Medium Menschen nicht-europäischer Herkunft oder mit Behinderungen oder LGBTQIA+_Protagonisten auftauchen, woraufhin sie daran erinnert werden, dass ...
1. das europäische Mittelalter, auf das sich das generische Fantasy-Mittelalter sehr, sehr entfernt stützt, nicht so homogen war, wie viele anzunehmen scheinen.
2. gerade Fantasy-Romane in Sekundärwelten/ Kulturen in der fernen Zukunft alle ihre eigene Geschichte haben, deren Verlauf nicht mit unserer übereinstimmen muss (und überhaupt: Unsere Geschichte fand nicht nur in Europa statt) – das sollte also keine Einschränkung sein.
3. niemandem etwas weggenommen wird, wenn bisher marginalisierte Gruppen Repräsentation erfahren.

Und weil mir das erlaubt, über Geschichte, Phantastik und die Idee zu schreiben, dass alle Leser*innen eine Chance haben sollten, sich in Literatur wiederzufinden, gebe ich jetzt auch noch meinen Senf dazu und schreibe einen Artikel, den ich dann alle Monate wieder verlinken kann (lohnt sich sicher leider), und in dem ich noch mal ausführlicher auf jeden der 3 Punkte eingehe. (Ich benutze jetzt mal das Mittelalter als Beispiel, weil ich mich in den letzten Semestern viel damit beschäftigt und das mehrfach online thematisiert gesehen habe, aber was die Differenz zwischen der Realität und den Klischees über eine Zeit betrifft, gibt es Übertragbarkeiten auf andere Epochen. Ein exzellenter Post zum Thema ist "Writing the Victorians" auf "Stürmische Seiten").

Was für ein Mittelalter?
Ich habe schon immer darüber gestaunt, wie wenig unsere Idee vom Mittelalter mit der tatsächlichen Epoche zu tun hat. Zur Erinnerung: Die Bestimmung, wann das Mittelalter aufhört und anfängt, ist diffus und ein wenig arbiträr, aber auf jeden Fall handelt es sich um einen bemerkenswert langen Zeitraum, in dem einiger historischer Wandel stattgefunden hat. Unser Bild vom Mittelalter speist sich jedoch fast nur aus dem (vergleichsweise gut dokumentierten) Hoch- und Spätmittelalter. Ich erwähne jetzt einfach mal ein paar Mittelalter-Mythen, von denen ich im Laufe meines Studiums gelernt habe, dass sie nicht wahr sind:
1. Das schmutzige Mittelalter - Tatsächlich gab es im Mittelalter zeitweise eine ausgeprägte Badekultur in Städten. Das große Stinken fing an, als die Idee aufkam, dass Badehäuser an der Verbreitung der Pest beteiligt sein konnten.
2. Das christliche Mittelalter – Skandinavien wurde erst im 10. und 11. Jahrhundert christianisiert, und die baltischen Völker sogar noch später. (Bei den Kreuzzügen ging es nur ganz, ganz ursprünglich um die Eroberung Jerusalems – das ganze „Tötet die Ungläubigen, schnappt euch ihr Land und steigt zum wichtigen Faktor in der lokalen Politik auf“ ließ sich auch gut aufs heutige Polen/Baltikum übertragen).
3. Isoliertes mittelalterliches Europa – Während Europa noch nach der Völkerwanderung so vor sich hindämmerte, war in Nordafrika/ Vorderasien deutlich mehr los. Händler bereisten die Welt und so kam es z.B., dass im 9. Jh. in Mainz orientalische Gewürze gehandelt wurden und noch früher ein angelsächsischer König Münzen drucken ließ, die Dinaren nachempfunden waren.
4. Dunkles Zeitalter – Ob das stimmt, kommt darauf an, wo man hinschaut. Westeuropa war kulturell und wissenschaftlich ziemlich rückständig, bis Urbanisierung und Bildung ca.1200 einen großen Sprung machten. In Asien oder in der islamischen Welt, in der das Wissen der hellenistischen Kulturen und Persiens aufgingen und die z.B. Berührung mit China hatte, war dagegen eine Menge Wissen im Umlauf, wurde weiterentwickelt und angewendet. Der Fakt, dass durch die Kreuzzüge auch eine Menge Wissen aus der islamischen Welt nach Europa gelangte, ist einer der Gründe dafür, dass sich die Wissenschaftskultur in Europa sprunghaft weiterentwickelte.
5. Hexenverbrennungen – Sie fanden auch im Mittelalter statt, sind aber eher ein Phänomen der Neuzeit.
6. Mittelalter = europäisches Mittelalter – Vielleicht ist die Einteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit mit den gleichen Demarkationslinien, wie wir sie nutzen, nicht auf alle Regionen der Welt gleichermaßen anwendbar, aber der Rest der Welt hat keineswegs geschlafen, während in Europa ehrgeizige Könige und Kaiser, Ratten mit Pestflöhen und Gegenpäpste und Gegenpäpste zu Gegenpäpsten unterwegs waren.

Aber für diesen Artikel ist vor allem Punkt 3 relevant: Im Mittelalter reisten Wikinger nach Byzanz, bereisten islamische Händler und Gelehrte die Welt und pilgerten Menschen von England nach Jerusalem. Bereits im 8. Jahrhundert korrespondierte Karl der Große mit Kalif Harun-ar-Raschid. Waren und Menschen überwanden unglaubliche Distanzen. Googelt mal „Ibn Battuta“.
Also, selbst wenn der Anspruch historische Korrektheit ist, schließt das keineswegs aus, das PoC auftreten können. Und dass Menschen mit Behinderungen, Schwule, Lesben, Asexuelle, etc. damals schon existiert haben, steht außer Frage.
(Falls jemand zu meinen Mittelalter-Fakten Fragen hat, schreibt mich einfach an, ich suche dann gerne die Quellen heraus.)

Sekundärwelten und historisch gewachsene Kulturen
So gut wie jeder Fantasy-Fan hasst es, wenn jemand ihm/ihr erklärt, Fantasy müsse nicht logisch/realistisch sein. Phantastische Literatur stellt ihre eigenen Regeln auf, aber alles, aus auf deren Basis passiert, wird vom Publikum auf seine Plausibilität abgeklopft werden. Tatsächlich ist der Anspruch, was Konsistenz und Realismus betrifft, tendenziell sogar höher, weil Leser*innen der/m Autor*in bereits ein großes Stück entgegengekommen sind, indem sie die phantastische Grundlage der Welt akzeptieren. Aber genau das ist auch der einzige Anspruch an Realismus in der Phantastik: Die einzelnen Aspekte der Welt müssen zueinander passen.
Also muss eine Kultur, um überzeugend zu sein, einfach nur auf plausible Weise von ihrer Vergangenheit und den Gegebenheiten um sie herum geformt sein und wiederum die Leute, die unter ihrem Einfluss aufwachsen, prägen (deshalb störe ich mich in historischen/ phantastischen Romanen an Menschen, die, obwohl sie nie mit ihnen in Kontakt gekommen sind, moderne Werte in einer Welt vertreten, in der das sonst niemand tut, würde das aber auch umgekehrt irritierend finden).
Die Art, wie wir leben, ist keineswegs ein universeller Entwicklungsschritt, den jede Kultur mal durchläuft, sondern das Ergebnis einer merkwürdigen Evolution – und wenn diese (oder unser Bild von ihr) in einer fiktionalen Welt ein exaktes Ebenbild findet, ist das eigentlich erstaunlicher als eine ganz andere Entwicklung.  Gesellschaften entwickeln sich und bilden sonderbare Regeln, Rituale und Werte aus – Kultur eben. Aber das passiert immer in Interaktion mit ihrer Umwelt. Und wenn da in einer phantastischen Welt eine Variable anders ist als in unserer – und selbst in unserer Welt gibt es eine Vielzahl von Kulturen, die sich unter ähnlichen Umständen sehr verschieden entwickelt haben –, dann kann das alle möglichen Folgen haben.
Natürlich ist mir bewusst, dass historische Parallelen eine Menge für ein Buch bewirken können: In der Weltgeschichte verbirgt sich eine Menge Inspiration, und zugleich sind Parallelen zu realen Ereignissen auch eine Quelle von Orientierung für Leser. Aber man muss sich nicht zwanghaft an sie klammern, und so kann eine fiktionale Kultur, die vllt. technologisch auf dem Level der Renaissance ist, weitaus offener und vielfältiger sein, als unsere Welt es damals war.

Repräsentation
Gibt es wirklich einen Mangel an Geschichten über weiße (heterosexuelle, neurotypische, ...) Menschen? Nicht, dass ich wüsste. Tatsächlich bin ich repräsentationsmäßig so verwöhnt, dass ich es als angenehme Abwechslung empfinde, wenn mal jemand mit einer anderen sexuellen Orientierung/ einer anderen Herkunft etc. die Hauptfigur eines Buches ist. Und ich kann mich trotzdem mit den Figuren identifizieren, weil es andere – wichtigere – Anknüpfungspunkte gibt.
Z.B. schreibt Nnedi Okorafor i.d.R. über afrikanische Frauen, die Erfahrungen machen, die sich nicht mehr von meinen unterscheiden können. Warum ich mich trotzdem mit Figuren wie Binti oder Phoenix identifizieren kann? Weil ich z.B. ihre Wissbegierde und ihr Staunen über die Welt um sie herum teile. Und Shen Tai aus Guy Gavriel Kays „Im Schatten des Himmels“ ist ein Mann und lebt in einem Land, das auf dem spätmittelalterlichen China basiert. Nichts davon trifft auf mich zu, und trotzdem fällt es mir leicht, mich in ihn hineinzuversetzen.
Die meisten Leser phantastischer Literatur haben die Welt schon einmal durch die Augen von Elfen und Zwergen, Aliens, Werwölfen etc. gesehen. Was ist jetzt also die Herausforderung daran, z.B. die Perspektive eines Protagonisten of Colour einzunehmen? Ok, der Blick auf die eigene Bevölkerungsgruppe aus den Augen von jemandem, der vielleicht nicht immer die besten Erfahrungen mit dieser gemacht hat, kann schmerzhaft sein, aber eben auch erhellend und notwendig.
Eine Zeit lang habe ich gedacht, dass die Identifikation mit Figuren mit anderem Hintergrund in beide Richtungen funktioniert, aber dann habe ich Artikel und Tweets von Leser*innen aus ethnischen Minderheiten gelesen, die beschrieben haben, dass ihnen die absolute Abwesenheit von Repräsentation in Kinder- und phantastischer Literatur das Gefühl gegeben hat, dass diese nicht für sie bestimmt war, oder dass sie zumindest keine Protagonisten sein könnten.
Ich habe mich auch daran erinnert, dass ich bei der Lektüre von „The Darkness that Comes Before“ dachte: „Interessantes Buch, aber ich hätte wirklich gerne ein paar Frauenfiguren dabei, die nicht bloß Opfer sind.“ Für mich ist so eine Erfahrung die Ausnahme und leicht hinzunehmen, weil ich jederzeit auf eines der unzähligen anderen Bücher zurückgreifen kann, in denen meine Bevölkerungsgruppe positiv repräsentiert ist. Andere Menschen haben dieses Glück nicht.
Also für mich sieht es ziemlich eindeutig so aus, als wäre mehr Repräsentation etwas, bei dem niemand etwas verliert, aber viele Menschen eine Menge gewinnen können.

Eine Art Fazit
Wer, wie viel, was, über wen, mit wessen Zustimmung/ nach welcher Recherche schreiben darf/kann/sollte/muss, ist etwas, worüber noch ausgiebig debattiert werden kann. Ich bin auch der Meinung, dass es nach wie vor völlig in Ordnung ist, europäisch inspirierte Phantastik zu schreiben (insbesondere angesichts dessen, wie wunderbar seltsam viele Aspekte historischer europäischer Kulturen waren). Aber der Hinweis auf historische Korrektheit ist in den meisten Fällen ziemlich sicher kein valides Argument, um Diversität in phantastischer Literatur abzulehnen.

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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