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"Das Buch der Augen" - das waren meine Einflüsse

Swantje Niemann • Nov. 18, 2021
Weiße Schrift vor rotem Hintergrund und Line-Art von Renia:

Bücher existieren nicht in einem Vakuum – sie bauen auf vorherigen Büchern auf, entwickeln Ideen und Konzepte weiter oder machen Dinge bewusst ganz anders oder beleuchten die Ränder vertrauter Geschichten. Ich finde diese Beziehungen zwischen Texten ziemlich interessant und habe mich entschieden, einmal öffentlich darüber nachzudenken, was mich beim Schreiben von „Das Buch der Augen“ beeinflusst hat.

 

Während für mich relativ offensichtlich ist, welche Bücher mich beim Schreiben der „Drúdir“-Romane geprägt haben (interessanterweise wenig Steampunk – ich bin erst durch das Schreiben in einem steampunkigen Setting wirklich intensiv auf das Genre aufmerksam geworden), sind die Inspirationen für „Das Buch der Augen“ subtiler und weitaus vager in ihrer Wirkung – tatsächlich steckt ein bisschen Raten in diesem Post.


1. „The Arcadia Project“

Vielleicht kein direkter Einfluss, aber eine große Ermutigung war für mich „The Arcadia Project“ von Mishell Baker – hier stellt die Autorin eindrucksvoll unter Beweis, dass Romane gleichzeitig eine mitreißende, witzige und clever konstruierte Urban-Fantasy-Geschichte erzählen und gleichzeitig ausführlich und empathisch erkunden können, was es bedeutet, mit einer psychischen Krankheit zu leben. Hier findet ihr meine Rezension zu dem ersten Band der Reihe.


2. „Grim“ und „Die Chroniken der Schattenwelt“

Ich bin in meiner Schulzeit über Gesa Schwartz’ Romane gestolpert und ich denke, meine Schilderung der „Grauzone“ ist ein wenig davon inspiriert, wie sie ihre Anderswelten schildert, auch wenn mein Weltenbau ganz anders ist. Ich wollte eine atmosphärische, von den Augen der Menschen verborgene Welt, die tödlich ist, aber auch mit ihren Geheimnissen und ihrer Schönheit lockt und ohne klare, transparente Regeln auskommt.


3. Non-Fiction

„Das Buch der Augen“ existiert auch, weil ich in der Zeit, in der es noch ein akutes Problem für mich war, einige Biografien und Selbsthilfebücher zum Thema Anorexie gelesen habe. Diese Bücher erfüllen einen bestimmten Zweck und machen das auch teilweise sehr gut, aber ich habe zunehmend gemerkt, dass ich gerne ein Buch gehabt hätte, dass sich auf andere Weise mit dem Thema auseinandersetzt – ich wollte einen Roman, der auf die seltsamen, erschöpfenden und beängstigenden Erfahrungen einer anorexiekranken Person eingeht, aber diese nicht zu dem einen, zentralen Thema macht. Daher ist „Das Buch der Augen“ ein Urban-Fantasy-Roman mit einer Protagonistin, die sich zusätzlich zu all ihren anderen Problemen auch mit ihrer psychischen Erkrankung herumschlagen muss. 


4. „Prince of Thorns“

Ein weiteres Buch, das sehr wenig mit „Das Buch der Augen“ gemeinsam hat, aber dennoch eine Rolle gespielt hat, weil es mir vor Augen geführt hat, wie wirkungsvoll ein gekonnt eingesetzter Ich-Erzähler ist. Mark Lawrence schafft es, Lesende mit einem Ich-Erzähler mitfiebern zu lassen, der eigentlich perfektes Antagonisten-Material ist, und das hat mich ermutigt, Lesende in den Kopf einer Figur mitzunehmen, deren Gedanken und Handlungen bei einer distanzierteren Perspektive schwer nachzuvollziehen wären. 


5. YA-Fantasy

Ein weiterer vager Einfluss war das ganze Genre von Jugendbüchern, in denen eine junge Heldin in eine düstere, magische Welt stolpert oder in denen geheime Organisationen Menschen vor Monstern schützen (z.B. „Die Chroniken der Unterwelt“). Ich musste der aus gutem Grund beliebten Grundidee jedoch ein paar Twists verpassen und die Überforderung der jungen Dämonenjäger*innen betonen, um die Geschichte zu erhalten, die ich haben wollte.


Visuelle Einflüsse

Ich habe natürlich meine visuellen Einflüsse für „Das Buch der Augen“, aber es gibt nicht ein bestimmtes Werk, das mich besonders beeinflusst hat. Ich denke, das „Hotel Labyrinth“ ist noch ein bisschen von der Zeit beeinflusst, in der ich noch mehr Steampunk gelesen habe, und ich denke, die etwas futuristischere Ausrüstung der Elstern hat einiges damit zu tun, dass ich so ab 2018 zunehmend Science Fiction für mich entdeckt habe. Ein weiterer visueller Einfluss für die Grauzone waren mein Faible für gotische Architektur sowie ein paar vage Erinnerungen an die Kunst von H.R. Giger. 


Keine Einflüsse

Und, als kleiner Bonus, noch ein paar Bücher/Franchises, bei denen ich froh bin, dass sie mir erst nach dem Beenden des ersten Entwurfs von „Das Buch der Augen“ begegnet sind, weil sie mich sonst verunsichert oder eben doch sehr beeinflusst hätten.


1. „Ring Shout“

P. Djèlí Clarks genialer Kurzroman über eine Schwarze Monsterjägerin in den USA der 20er erzählt die gradlinige, aber auch mit einer Menge Tiefe und Gesellschaftskritik aufgeladene Geschichte einer jungen Frau, die sich persönlichem Trauma stellen muss, um Monster zu besiegen, so viel besser und gesellschaftskritischer als alles, was ich je schreiben könnte, dass mich die Lektüre ein wenig entmutigt hätte. Hier ist übrigens meine Rezension zu dem Buch.


2. „Boss Designs of Bloodborne“

Ich schaue jetzt schon seit einer Weile T.B. Skyens Videos über das Spiel „Bloodborne“ und habe gemerkt, dass Bilder aus dem Spiel ein wenig beeinflussen, wie ich mir die „Grauzone“ und die Monster von „Das Buch der Augen“ vorstelle. (Ich hatte „Bloodborne“ vage durch den Miracle-of-Sound-Song „A Thousand Eyes“ auf dem Schirm, der mich auch beim Schreiben begleitet hat, aber hatte mich ansonsten nicht weiter damit beschäftigt). 

Auch bei dem Spiel „Othercide“, das ich über meinen Freund entdeckt habe, sind mir einige thematische und ästhetische Parallelen aufgefallen – und das Farbschema passt perfekt zu „Das Buch der Augen“.


Musik

Beim Schreiben und Überarbeiten hat mich auch Musik begleitet. Immer wieder aufgetaucht sind Lieder der Bands „Icon for Hire“ (die Lyrics dieser Lieder sind exakt die Sorte ehrlicher, bewegender, aber auch selbstkritischer Repräsentation von Mental Health Issues, nach der ich auch in „Das Buch der Augen“ gestrebt habe), „Diary of Dreams“ und „Epica“.


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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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