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Buchentdeckungen von 2021 – Teil 2

Swantje Niemann • Dez. 06, 2021
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2021 war in mancher Hinsicht kein sehr gutes Jahr für mich, aber hat auch einiges Gutes gebracht. Mit „Das Buch der Augen” habe ich dieses Jahr ein Buch veröffentlicht, auf das ich sehr stolz bin. Ich habe an zwei Phantast-Magazine mitgewirkt, es trotz allem geschafft, zuverlässig Patreon-Content zu liefern, und habe einen kleinen Beitrag zu einem sehr spannenden kollaborativen Schreibprojekt geleistet. Und, persönlicher: Ich habe mich verlobt.

Aber selbst Dinge machen ist nur ein kleiner Teil davon, ein Jahr gut zu nutzen. Wenn ich durch mein Buch-Journal blättere, erinnert mich das daran, dass 2021 auch von vielen schönen Erfahrungen geprägt war, die ich der Vorstellungskraft und harten Arbeit anderer Leute verdanke.

Und wie immer, wenn ich gute Bücher gelesen habe, möchte ich euch davon erzählen. Hier findet ihr meine Lieblingsbücher aus der ersten Jahreshälfte und das hier sind einige meiner Favoriten aus der zweiten Hälfte von 2021:


Talia Lavin: Culture Warlords

Talia Lavin hat für die Recherchen für dieses Buch diverse Online-Räume, in denen sich Rechtsextreme austauschen, infiltriert und schreibt hier unterhaltsam, aber auch eindringlich über ihre Erfahrungen. Ein erschreckender, aber auch wichtiger Einblick in Radikalisierung und ihre Kontexte. (Ein ganz ähnliches Buch mit einem stärkeren Fokus auf Europa ist übrigens „Radikalisierungsmaschinen“ von Julia Ebner)


Mary Robinette Kowal: Ghost Talkers

Historische Fantasy vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, in der nicht nur die fantastischen, sondern auch die historischen Elemente faszinieren. 

Ausführliche Rezension auf Literatopia


Sarah Stoffers: Berlin – magische Knochen

Die Fortsetzung zu „Berlin – rostiges Herz“ eröffnet den Blick die Welt jenseits des steampunkigen Berlins der Zukunft. Überzeugende Figuren, eine Welt, in der es viel zu entdecken gibt, und Plotpunkte und Themen, die gekonnt gesetzt und wieder aufgegriffen werden, machen das Buch zu einem sehr runden Leseerlebnis. 


Frank Herbert: Dune

Dune ist ein Epos, das sich mehr wie High Fantasy als wie Science-Fiction liest und in dem es eine Menge großer Ideen geht. Ich habe einige Kritikpunkte an dem Buch, aber bin froh, es gelesen zu haben, weil es aus gutem Grund ein Klassiker ist. Sehr interessant fand ich den Einsatz des mittlerweile sehr unüblichen allwissenden Erzählers.

Meine Rezension zu Buch und Film


Xiran Jay Zhao: Iron Widow

Radikal, brutal und farbenprächtig geht es in „Iron Widow“ zu, einem Roman, in der chinesische Geschichte auf Science-Fiction trifft. Hier nimmt es die Protagonistin mit einem frauenfeindlichen System auf und sieht dabei keinen Grund, rücksichtsvoller vorzugehen, als man es ihr gegenüber war.

Ausführliche Rezension auf Literatopia


Jay Kristoff: Empire of the Vampire

Jay Kristoff schreckt in diesem Buch nicht vor Klischees und Handlungs- oder Stilelementen, die stark an bestimmte andere Werke erinnern, zurück. Aber vielleicht weil sich das Buch so unentschuldigend freudig in seine bewährte, düster-opulente Ästhetik (in Sprache und Setting) lehnt und weil es einige schöne, dynamische Beziehungen zwischen den Figuren gibt, war „Empire of the Vampire“ ein Roman, den ich erst ironisch, aber dann sehr schnell aufrichtig genossen habe. 


J.C. Vogt: Anarchie Deco

Historische Fantasy hat immer auch die Möglichkeit, nicht nur spannende Situationen zu schaffen, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein weniger präsente Geschichte auszuleuchten. In Anarchie Deco sind das etwa die queere und die anarchistische Szene des Berlins der 20er.


Django Wexler: Hard Reboot

Diese Novelle über zwei junge Frauen – eine Wissenschaftlerin und einer Bastlerin auf einer aufgegebenen, vermüllten Erde der Zukunft – und riesige Roboter erzählt auf wenigen Seiten eine sehr runde Geschichte, die einfach richtig Spaß macht.


Gareth Hanrahan: The Shadow Saint

Es ist kein Geheimnis, dass ich seltsame, düstere Fantasy-Metropolen liebe, und Guerdon mit seinen eklig-faszinierenden alchemistischen Schöpfungen und dem Krieg der Gottheiten, der langsam auch auf die bisher neutrale Stadt übergreift, konnte mich bereits im ersten Band, „The Gutter Prayer“ überzeugen. „The Shadow Saint“ übertrifft seinen Vorgänger jedoch noch einmal in puncto Figurenzeichnung und schickt überraschend menschliche und sympathische Protagonist*innen durch die eindrucksvolle, chaotische Welt des Romans.

Ausführliche Rezension auf Literatopia


Steven Erikson: Deadhouse Gates

Ich habe mir vorgenommen, endlich „The Malazan Book of the Fallen“ (eine Serie aus zehn langen, komplexen Büchern) zu Ende zu lesen, da ich zuvor beim vierten Band hängen geblieben bin. Darum habe ich jetzt den zweiten Band noch mal gelesen – und bin sehr froh darüber, denn „Deadhouse Gates“ ist ein in vieler Hinsicht episches und bei aller geschilderten Gewalt und Trostlosigkeit auch ein sehr mitfühlendes Buch.


Honorable Mentions

Cassandra Khaw: Hammers on Bone

Kazuo Ishiguro: An Artist of the Floating World

Jeanette Walls: The Glass Castle

Eleanor Bardilac: Knochenblumen welken nicht


Keine Bücher, aber auch toll

2021 war definitiv ein gutes Medien-Jahr. Neben den Büchern, die ich in diesem Post erwähne, habe ich auch Zeit mit toller Musik, Serien und Youtube-Videos verbracht. Auf Youtube konnten mich wieder mal Abigail Thorne von Philosophy Tube (z.B. mit ihrem neuesten Video) und T.B. Skyen überzeugen. 

Ich komme deutlich weniger dazu, Serien und Filme zu schauen als viele andere, aber ein paar Mal habe ich dieses Jahr doch die Zeit und Ruhe gefunden. Ich bin überrascht, dass es sich bei einigen meiner Favoriten um animierte Serien handelt, immerhin ist das ein Format, dass ich noch vor kurzem so gut wie gar nicht geschaut habe. Aber die vierte Staffel von „Castlevania“ hat mich mit ihrer Mischung aus Spannung und witzigen Figuren-Interaktionen überzeugen können, und wie so viele Zuschauende war ich von „Arcane“ beeindruckt. Hier erwachen Figuren und Schauplätze eindrucksvoll zum Leben und die Animation und das Design der Serie sehen nicht nur künstlerisch aus, sondern fangen auch auf spannende Weise die Subjektivität der Figuren ein. 

Auch die „Dune“-Verfilmung hat mir gut gefallen. Ein toller Geschichten-Snack ist „Trese“ – in dieser Urban-Fantasy-Serie packen die Macher*innen eine Menge Story in sechs kurze Episoden und geben einen spannenden Einblick in die Sagenwelt der Philippinen. Darüber hinaus hatte ich auch Spaß an dem Webcomic „Covenant“ (auf Webtoon).


Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28 Dez., 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20 Nov., 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 04 Nov., 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Die Bücher
von Swantje Niemann 22 Apr., 2023
Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
Print-Ausgaben von
von Swantje Niemann 13 Apr., 2023
Zwei sehr verschiedene Bücher erzählen beide in der ersten Person. Ich schaue mir mal genauer an, was ihren Ansatz dabei unterscheidet und wieso das in beiden Fällen sehr gut funktioniert.
Titelseite einer Ausgabe von
26 Nov., 2022
Zusammenfassung, Rezension und ein bisschen Literaturepochen-Kontext
Rostige Krone liegt auf Moos
von Swantje Niemann 12 Sept., 2022
Ein paar Überlegungen zu einem Lieblingstrope des Fantasygenres.
Aufgeschlagenes Notizbuch mit schwarzem Papier, in das viele kleine Buchcover eingeklebt sind
von Swantje Niemann 12 Aug., 2022
Eine kleine Reflektion über Buchjournals, Rezensionen und dergleichen
Alte Bücher in einem Regal
von Swantje Niemann 10 Juli, 2022
Fantasy, auch solche in von der Vergangenheit inspirierten Settings, kann Geschichte nicht einfach kopieren. Trotzdem ist die Beschäftigung damit mitunter eine echte Bereicherung fürs Schreiben.
Die Bücher
von Swantje Niemann 03 Juni, 2022
5 Buchtitel, die sofort meine Neugier geweckt haben.
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