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Einleitende Zitate – wann, wie, warum, warum nicht?

Swantje Niemann • Feb. 20, 2021
Pergament mit Schrift
Bild: Henryk Niestrój auf Pixabay 

Es gibt so einige Dinge, die ich in meinem Debütroman heute anders machen würde. Neben größeren Sachen, die mich teilweise so sehr beschäftigen, dass ich sie unbedingt zwischen den Auflagen ändern möchte, würde ich die Überabschnitte des Buches nicht länger mit Literaturzitaten aus dem 19. Jahrhundert einleiten. Ich würde maximal das E.T.A. Hoffmann-Zitat behalten, das meiner Meinung nach ein hübsches Nicken in die Richtung der literarischen Tradition ist, in die ich mich mit der Verwendung eines bestimmten Topos stelle. Wer „Drúdir – Dampf und Magie“ kennt, weiß, wovon ich rede. 

Ich glaube nicht, dass die Zitate stören, aber sie tragen auch nicht wesentlich etwas bei, und ich glaube, ich habe sie damals – ich habe das Buch irgendwann 2015 beendet – vor allem eingefügt, weil ich so etwas aus den Büchern von anderen Autor*innen kannte und begierig war, mein Schreibprojekt wie ein „echtes“ Buch aussehen zu lassen. Ok, vielleicht wecken sie ein bisschen 19. Jahrhundert-Atmosphäre, passen thematisch und verleiten womöglich die eine oder andere Person, sich die lange Version der Lyrik- und Prosatexte anzuschauen, aus denen sie stammen. Aber mittlerweile glaube ich, dass die Frage bei der Verwendung eines einleitenden Zitates neben „Geht das rechtlich?“ eher „warum?“ als „warum nicht?“ sein sollte. 

Warum manchmal Vorsicht geboten ist
Einleitende Zitate können Kontext beisteuern, einen Hinweis geben, dass di*er Autor*in das Buch als Antwort auf etwas versteht oder in einem Aspekt das Kernthema sieht. Ebenso können sie wie eben erwähnt ein höfliches Nicken in Richtung von Inspirationsquellen darstellen. Aber sie können auch irritieren, indem sie falsche Erwartungen wecken oder aber das eigentliche Buch im Vergleich mit ihnen weniger gut aussehen lassen. 
Ein Beispiel: Ich stehe dem „Lessons from the bad writing of …”-Format der Seite Mythcreants ein wenig ambivalent gegenüber (ich mag es nicht besonders, wenn Kritiken mir das Gefühl geben, dass sich jemand darüber profilieren will), aber Chris Wrinkle hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die Klassiker-Zitate in Cassandra Clares „City of Bones“ prätentiös erscheinen und nicht zum Ton des restlichen Buchs passen. Ich muss zugeben, dass ich dieses Risiko auch bei den Drúdir-1-Zitaten sehe.
Aber noch häufiger, dass sie auffällig irritieren, haben Zitate aus Büchern schlichtweg keinerlei Effekt auf Leser*innen und sind vergessen, kaum dass die Geschichte richtig anfängt.

Wann passen Zitate?
Aber es gibt auch Bücher, in denen Zitate am Buchanfang, über Zwischenabschnitten und Kapiteln eine echte Bereicherung darstellen. Welche sind das? Zunächst fällt mir da meine erste bewusste Begegnung mit diesem Buchelement ein, nämlich die Tintenwelt-Bücher von Cornelia Funke – natürlich passt es in einer Trilogie, die eine Liebeserklärung an die Welt der Bücher ist und in der die Grenzen zwischen verschiedenen Romanwelten durchlässig wird, jedes Kapitel mit einem Zitat aus einem anderen Buch einzuleiten.
Ebenso finde ich, dass Originalzitate aus der Zeit der Handlung sehr gut geeignet sind, um in historischen Romanen zur Atmosphäre beizutragen. Markus Heitz nutzt z.B. in „Die dunklen Lande“ Zitate aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, die helfen, ein Bild des historischen Settings heraufzubeschwören und die teilweise sehr fantasyelementelastige Geschichte zu erden. Und in einer anderen Serie Cassandra Clares, die im 19. Jahrhundert spielt, wirken Zitate aus dieser Zeit ebenfalls nicht fehl am Platze. Jeannette Ng setzt in „Under the Pendulum Sun” sehr wirkungsvoll echte historische Zitate ein, die minimal an eine Welt angeglichen sind, in welcher das Feenreich Arcadia existiert.
Ebenso finde ich, dass ein Zitat immer dann richtig gesetzt ist, wenn es eine neue Interpretation eines Textes eröffnet und intertextuelle Bezüge oder Kontexte erhellt.

Fiktive Zitate
Ein besonderer Favorit von mir sind fiktive Zitate. Ich finde diese in den Elfen-Romanen Bernhard Hennens und James Sullivans sehr gekonnt eingesetzt. Nicht nur helfen die fiktiven Zitate aus Sagen und historischen Aufzeichnungen dort, Orientierung in einer von Zeitsprüngen geprägten Handlung zu geben, sie laden auch zu einer Reflektion von Historiographie an sich ein, zeigen widerstreitende Meinungen, Verzerrungen und Instrumentalisierungen von tatsächlichen Ereignissen.
Solche Zitate erlauben es auch, Figuren zu Wort kommen zu lassen, denen eigentlich keine Erzählperspektive zugeordnet ist. In „Drúdir 3“ verwende ich dieses Stilmittel, bestärkt von meiner Sensitivity-Leserin Nora Bendzko, um eine Nebenfigur und Angehörige einer in-Universe-Minderheit zu Wort kommen zu lassen, sodass ich nicht komplett in der Perspektive mehr oder weniger privilegierter Figuren verharre.

Fazit
Zitate in Büchern können eine wertvolle Ergänzung sein und spannende Impulse geben, die Atmosphäre eines Settings heraufbeschwören oder aber unnötig und vielleicht etwas prätentiös wirken. Es ist alles eine Frage des Zusammenspiels von Zitat und Text.

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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