Sachbuch-Entdeckungen

Swantje Niemann • 17. Januar 2021
Die im Beiträg erwähnten Sachbücher im Regal.
In den letzten Jahren habe ich angefangen, vermehrt auch Sachbücher zu lesen. An einige davon kann ich mich kaum erinnern. Andere hingegen sind mir sehr deutlich im Gedächtnis geblieben. Hier ist eine Liste der Sachbücher, die ich besonders spannend und/oder relevant fand (wenn ich dazu gekommen bin, sie auf Literatopia zu rezensieren, habe ich Links zu meinen ausführlichen Rezensionen gesetzt):

Robert Sapolskys „Behave“ ist faszinierende Lektüre – ein Blick auf die Ursprünge menschlichen Verhaltens, insbesondere die Wahl zwischen Gewalt und Kooperation, unter den Gesichtspunkten zahlreicher verwandter Wissenschaften. Das Buch ist nicht ganz anspruchslos, aber auch für Laien gut verständlich und ein spannender Einblick in viele Wissensgebiete.

Rutger Bregmans „Utopien für Realisten“ ist ein Buch, dass nicht nur gute Vorschläge, sondern auch Mut macht. Unter Rückgriff auf Daten aus verschiedenen Experimenten erklärt Bregman, wie z.B. mit weniger Arbeit, einem Grundeinkommen für alle und effektiverer Entwicklungshilfe eine bessere Welt möglich wäre.

Bullshit Jobs“ von David Graeber basiert auf seinem sehr erfolgreichen Essay im Strike-Magazin. Vielleicht mit einem gewissen Selection Bias, aber auf jeden Fall mit sehr großer Relevanz und einem zugänglichen Schreibstil untersucht er das Phänomen von Jobs, die vielleicht einträglich sein mögen, aber absolut niemandes Leben besser machen, worunter selbst die Leute leiden, die sie ausüben.
 
Mit „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ hat Alice Hasters eine solide, zugängliche Einführung in das Thema anti-Schwarzen Rassismus in Deutschland geschrieben. Wer sich bereits ausführlicher mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wird hier eher wenig neues finden, aber für Menschen, die sich bisher kaum damit auseinandergesetzt haben, kann ich das Buch sehr empfehlen. 

Die beiden Herausgeber*innen Fatya Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah liefern zusammen mit zahlreichen anderen Autor*innen in „Eure Heimat ist unser Albtraum“ eine Sammlung kritischer (post)migrantischer, queerer, etc. Perspektiven auf Deutschland und die Idee einer homogenen „Heimat“. 

Passend dazu nimmt Max Czollek in „Desintegriert euch“ unter anderem scharfzüngig die allzu bequeme Erinnerungskultur in Deutschland aufs Korn.

Howard Zinns „A People’s History of the United States” ist zurecht dafür kritisiert worden, dass das Buch z.B. durch die Ausblendung von Religion seinem ehrgeizigen Anspruch, die gesamte Geschichte der USA darzustellen, nicht gerecht wird. Was es jedoch liefert, ist eine faszinierende Perspektive auf die Geschichte der Vereinigten Staaten aus der Perspektive von Arbeiter*innen und marginalisierten Amerikaner*innen, mit einem Fokus auf deren Einfluss auf die Geschichte.

In einer Sammlung humorvoller, poetischer Texte schreibt Ursula K. le Guin in ihrem leider vergriffenen Buch „The Language of the Night” – die einzelnen Texte lassen sich verstreut übers Internet aufstöbern – eindrucksvoll über die Macht der Literatur und die Rolle der Phantastik, wobei sie auch die SFF-Szene ihrer Zeit kritisch beleuchtet. Einige ihrer Kritikpunkte sind leider immer noch aktuell. 

Amitav Ghoshs „The Great Derangement“/”Die große Verblendung“ ist ein interdisziplinärer Blick auf den Klimawandel und dessen Folgen. Ghosh geht nicht nur auf das konkrete Geschehen ein, sondern auch darauf, wie Erzähltraditionen das Weltbild von Menschen beeinflussen und es ihnen schwer machen, das Ausmaß der bevorstehenden Veränderungen zu begreifen. Dabei vergleicht er sachkundig westliche und indische Erzähltradition und hat auch spannende Fakten zu Geschichte und Politik auf Lager.

In „Radikalisierungsmaschinen“ beschreibt Julia Ebner ihre Nachforschungen zu verschiedenen extremistischen Gruppen (Rechtsextreme, Islamist*innen, etc.) und deren Rekrutierungsstrategien on- und offline – ein leider sehr relevantes Buch.

Licht aus dem Osten“ von Peter Frankopan erzählt Weltgeschichte mit einem Fokus auf Handelsrouten und interkulturellen Kontakten. Im Zentrum steht hier Vorderasien, wo sich zahlreiche Handelsrouten kreuzten und wo Einflüsse von überall auf der Welt aufeinandertrafen. Ein spannendes, sehr umfassendes Buch, das deutlich macht, wie verflochten die Welt von früh an war.

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Auch in der zweiten Jahreshälfte von 2024 habe ich viele gute, und einige großartige Bücher gelesen. Ich habe viel aussortiert, um bei einer übersichtlichen Liste zu landen.
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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
von Swantje Niemann 28. Dezember 2023
Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20. November 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 4. November 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
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