Figurenvorstellung und Character Art

Ich habe es vielen meiner Kolleg*innen, die Character-Art für ihre Buchfiguren in Auftrag gegeben haben, gleichgetan und bei Đặng Tuyên diese Skizze von Renia, der Protagonistin von "Das Buch der Augen" bestellt (mehr von Đặng Tuyêns Arbeit könnt ihr hier sehen. Ihr seid da definitiv an einer guten Adresse, wenn ihr euren Auftrag in beeindruckender Geschwindigkeit bearbeitet sehen wollt). Ich wollte bewusst etwas Skizzenhaftes, Stilisierteres, das den Betrachtenden trotzdem Raum für ihre eigene Vorstellung lässt, und ich fand es sehr spannend zu sehen, wie sich eine andere Person Renia auf der Basis meiner Beschreibung vorstellt.
Wer ist Renia?
Renia ist zu Beginn des Romans 21 - eine intelligente, perfektionistische Frau, die nach einem abgebrochenen Literaturwissenschaften-Studium nach Berlin zurückkehrt. Dort trauert sie noch immer ihrer letzten Beziehung nach und versucht, mit der für sie ungewohnten Erfahrung des Scheiterns umzugehen. Sie hat einige Probleme, die vielen Menschen vertraut sein dürften: Ihre Bekannten aus der Schule sind von ihr weggedriftet, sie ist theoretisch erwachsen, aber irgendwie auch nicht, und natürlich hat sie es mit ganz praktischen Schwierigkeiten wie der Suche nach einer Wohnung, einem Job und einem neuen Ziel in ihrem Leben zu tun.
Andere Herausforderungen, denen sie sich stellen muss, sind jedoch ungewöhnlicherer Natur: Immer wieder brechen Visionen einer fremdartigen Welt mit einem roten Himmel, einer geisterhaften Stadt und hungriger Monster in Renias Alltag ein, und langsam beginnt sie zu zweifeln, dass es sich um Halluzinationen handelt. Doch selbst, wenn die Dinge, die Renia sieht, real sind, bedeutet das nicht, dass sie keine psychischen Probleme hat - sie wird von leichten, aber anhaltenden Symptomen einer Depression verfolgt und nach und nach schleicht sich auch eine Essstörung in ihr Leben und weigert sich, ihren Klammergriff wieder zu lösen.
Einige der Gefahren, denen sich Renia stellen muss, lauern also in ihrem eigenen Inneren. Allerdings ist fraglich, ob Renia überhaupt die Zeit haben wird, sich damit auseinanderzusetzen, denn ein Wesen aus der roten Welt hat die Verfolgung aufgenommen. Renia muss sehr schnell in einer porösen, gefährlichen Realität überleben lernen.
Ein Zitat aus "Das Buch der Augen"
Das hier sind Renias Gedanken von relativ weit am Anfang des Buches (noch nicht lektoriert):
Elisa hatte mir von einer anderen ehemaligen Mitschülerin erzählt, die nun hier in der Gegend wohnte. Ich fragte mich, ob ich vielleicht den Kontakt erneuern sollte. Ich hasste es, die erste Person zu sein, die schrieb, oder – noch schlimmer –, die wiederholt Kontakt aufnahm und damit preisgab, dass sie diejenige war, die ihn mehr brauchte. Aber vielleicht musste ich mich einfach überwinden, wenn ich in den Köpfen anderer mehr sein wollte als die Erinnerung an einen eloquenten Partygast oder diese eine Studentin, die immer eine Antwort parat hatte.
Aber wollte ich das? Was du anderen preisgibst, wird von ihnen nicht aufbewahrt wie ein historisches Artefakt unter Glas. Du nimmst in ihren Gedanken ein Eigenleben an, das du nicht länger kontrollieren kannst, und irgendwann besitzen sie eine Abbildung von dir, die dir gerade ähnlich genug ist, dass dich die Verzerrungen stören. Ich hatte mich schon oft innerlich gewunden, wenn mir andere Menschen ihre Version meiner Geschichte erzählten. Dann lieber eine glatte, flüchtige Präsenz voller Widersprüche sein, an der die Haken vorgefertigter Kategorien und Narrative keinen Halt fanden.

