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Rezension: Robert Jackson Bennett - City of Stairs

Swantje Niemann • Jan. 28, 2019

Ich hatte ganz vergessen, diese Rezension von "Cygnus Reviews" auf meine neue Seite zu übertragen, obwohl ich "City of Stairs" regelmäßig weiterempfehle.
Auf Deutsch ist es übrigens mit einer ziemlich solide gemachten Übersetzung als "Die Stadt der tausend Treppen" bei Bastei Lübbe erschienen.

Klappentext

An atmospheric and intrigue-filled novel of dead gods, buried histories, and a mysterious, protean city--from one of America's most acclaimed young fantasy writers.

The city of Bulikov once wielded the powers of the gods to conquer the world, enslaving and brutalizing millions—until its divine protectors were killed. Now Bulikov has become just another colonial outpost of the world's new geopolitical power, but the surreal landscape of the city itself—first shaped, now shattered, by the thousands of miracles its guardians once worked upon it—stands as a constant, haunting reminder of its former supremacy.

Into this broken city steps Shara Thivani. Officially, the unassuming young woman is just another junior diplomat sent by Bulikov's oppressors. Unofficially, she is one of her country's most accomplished spies, dispatched to catch a murderer. But as Shara pursues the killer, she starts to suspect that the beings who ruled this terrible place may not be as dead as they seem—and that Bulikov's cruel reign may not yet be over.


Rezension

Der Wissenschaftler Efrem Pangyui wurde ermordet. Auf der Suche nach dem Täter und seinem Motiv betritt Shara Thivani eine Stadt, die von Misstrauen und Abscheu von Saypuri und Continentals geprägt ist. Immerhin hatten die Continentals die Saypuri unter Berufung auf ihre Götter über Jahre versklavt, bis ein Vorfahr Sharas sämtliche Götter tötete – und damit den kataklysmischen „Blink“ auslöste. Die Realität selbst wurde verbogen, was überall tiefe Spuren hinterlassen hat. Insbesondere in Bulikov.

Nun haben die Saypuri die Macht inne und sie verbieten es den Continentals, auch nur von ihren Göttern zu sprechen. Die Continentals fühlen sich ihrer Geschichte beraubt und zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Die Saypuri können die Jahre der Sklaverei und und ihre Furcht vor dem Göttlichen nicht vergessen. Es ist eine Atmosphäre, in der Fragen nach Göttern heikel sind, jede politische Interaktion von Vorbehalten geprägt wird und scheinbar harmlose Formulierungen plötzlich eine unangenehme Bedeutung erhalten.

Doch trotz dieser Probleme hat sich Shara vor Jahren in den bulikovianischen Politiker Vohannes verliebt, den sie nun wiedersieht. Obwohl keine der religiösen, persönlichen, sexuellen und kulturellen Komplikationen verschwunden ist, die ihre Beziehung einst beendet haben, scheint diese doch in einer seltsamen Form wieder aufzuflammen.

Zusammen mit ihrem Leibwächter und Assistenten Sigrud vollzieht Shara Pangyuis Schritte nach und kommt nach und nach Wahrheiten auf die Spur, die nicht nur politisch brisant sind, sondern auch vermuten lassen, dass das Göttliche nicht vollends aus der Welt verschwunden ist. Bald weiß Shara auch nicht mehr, wem sie noch trauen kann.

Bennetts Roman wartet immer wieder mit neuen Wendungen und Überraschungen auf. Er schildert nicht nur Sharas Nachforschungen und ihre unerwarteten Ergebnisse, sondern bettet sie auch in ein komplexes, geopolitisches Geschehen ein. Das Worldbuilding ist sehr originell, detailliert und durchdacht, die Ansiedlung in einer Epoche, die ein bisschen an die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erinnert, gut gewählt.

Mit atmosphärischen Beschreibungen erweckt Bennett das düstere, bizarre Bulikov zum Leben, Ausschnitte aus religiösen Texten oder den Notizen Pangyuis erläutern den Hintergrund der Geschichte. Allerdings ist die Zeitform nicht so geschickt gewählt. Das Buch ist im Präsenz geschrieben, was eine atemlose Unmittelbarkeit vermittelt, die nicht so recht zum Ton des Buches und der nachdenklichen, distanzierten Beschreibung des Geschehens passen will. Aber man gewöhnt sich daran.

Auch die Figuren wissen zu überzeugen: Hinter Sharas zurückhaltender, unscheinbarer Fassade verbergen sich ein scharfer Verstand und die Entschlossenheit, die Welt zum Besseren zu wenden. Die Jahre, in denen sie für ihr Land spioniert und getötet hat, haben ihren Blick auf mehr oder weniger alles relativiert und sie kritisch, misstrauisch und nachdenklich gemacht. Es ist ihr aber gelungen, über all die Zeit ihre Integrität zu wahren und sie hinterfragt ihre Befehle und eigenen Aktionen. Shara ist eine Figur, die ruhig, aber zielstrebig eigentlich unmögliche Aufgaben bewältigt.

Ihr Assistent Sigrud ist körperlich und mental von einer traumatischen Vergangenheit gezeichnet und auf der Flucht vor einer großen Verantwortung. Momentan konzentriert er sich, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben zu nehmen, an Sharas Seite darauf, was er am besten kann: Töten. Die Sprache, die Bennett für seine Dialoge und seinen Bewusstseinsstrom wählt, ist dem Klischee des barbarischen Kriegers, dem Sigrud auf den ersten Blick zu entsprechen scheint, entgegengesetzt.

Der charmante, etwas undurchschaubare Vohannes bietet Shara bereits früh im Buch die Erneuerung ihrer Beziehung an. Obwohl hochintelligent und ehrgeizig ist er zugleich ein Mann, der permanent mit seiner Vergangenheit und einer Kultur ringt, die ihn nicht akzeptieren will, wie er ist.

Eine weitere Figur ist die undurchschaubare Auntie Vinya, Sharas Tante und Vorgesetzte, der diese jedoch, wie sie feststellt, nicht vertrauen sollte. Auch die anderen Figuren sind gut beschrieben und überzeugen.

Fazit

„City of Stairs“ ist mit seinem ungewöhnlichen Schauplatz und eigenen Magiesystem originell und überzeugend. Der Roman streift zahlreiche große Themen, ohne sie in ihrer Komplexität zu reduzieren. Rasante, teilweise sehr blutige Actionszenen werden ebenso gut beschrieben wie die Charaktere und ihre Beziehungen.

Buchinfos
Verlag: Broadway Books (September 2014)
"City of Stairs" ist der erste Band der "Divine Cities"-Trilogie. Die beiden anderen Teile heißen "City of Blades" (dt. Titel: "Die Stadt der toten Klingen") und "City of Miracles" (dt. Titel: "Die Stadt der träumenden Kinder")

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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