Rückblick: 2020

Swantje Niemann • 31. Dezember 2020
Wunderkerze
Bild: PublicDomainPictures auf Pixabay

Während ich diesen Rückblick schreibe, haben die meisten meiner Kolleg*innen ihre schon gepostet. Ich schätze, in letzter Minute mit etwas fertig zu werden, nachdem ich es aus Energiemangel lange herausgezögert habe, ist aber recht repräsentativ für dieses Jahr.

Vom (nicht) Schreiben
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben mich nicht annähernd so schlimm erwischt wie viele andere Leute, aber es war trotzdem ein anstrengendes Jahr. Außerdem das erste seit langem, in dem ich kein neues Manuskript geschrieben habe. Auch mit Kurzgeschichten sah es schlecht aus. Ich habe mich für einen Großteil des Jahres kreativ wie ausgwrungen gefühlt, und ein wenig geht es mir immer noch so. Dafür habe ich meine Masterarbeit in Europäischer Kulturgeschichte eingereicht und kann mich jetzt M.A. nennen. 
Darüber hinaus kam Drúdir 3 heraus, womit ein ziemlich langer Lebensabschnitt, durch den mich die Figuren der Trilogie begleitet haben, zu Ende geht. Die ersten drei Rezensionen sind positiv ausgefallen, was mir viel bedeutet. Außerdem habe ich Bücher für verschiedene Kund*innen und Freund*innen lektoriert/korrigiert/beta-gelesen

Lieblingsbücher 2020
Ich bin auch in meiner Freizeit viel zum Lesen gekommen. Einige meiner Lieblingsbücher waren:
  • „The Left Hand of Darkness“ und „The Dispossessed“ von Ursula K. le Guin – keine Ahnung, wieso ich so lange gebraucht habe, um diese Bücher zu lesen, die ihren Klassiker-Status absolut verdienen.
  • 10 Minutes, 38 Seconds in this Strange World” von Elif Shafak – ein wütender, mitfühlender Roman mit einer der ungewöhnlichsten Strukturen und Rahmenhandlungen, die ich kenne.
  • The Gutter Prayer“ von Gareth Hanrahan – düstere, idealerweise semi-industrialisierte Fantasystädte voller Geheimnisse in Kombination mit chaotischer, beängstigender Magie gehören zu meinen liebsten Fantasy-Motiven, und dieses Buch liefert das definitiv.
  • Stormblood“ von Jeremy Szal – ein nicht klischeefreier, aber mitreißender und überraschend idealistischer und sehr actionreicher Liebesbrief an das Science-Fiction-Genre. Außerdem verdanke ich dem Buch ein ziemlich gutes Cocktail-Rezept.
  • Best Served Cold“ von Joe Abercrombie – der Roman, der mich den Abercrombie-Hype hat verstehen lassen.
  • „The Gurkha and the Lord of Tuesday” von Saad Z. Hossain – eine clevere Novelle, die Science-Fiction und islamische Folklore, Augenzwinkern und einen sehr soliden Plot kombiniert.
  • „Behave“ von Robert Sapolsky – eine faszinierende, locker und sachkundig erzählte Beleuchtung menschlichen Verhaltens aus der Perspektive mehrerer Wissenschaften.
  • „A People’s History of the United States” von Howard Zinn – eine spannende Betrachtung der Geschichte der USA mit Fokus auf der historischen Agency von Arbeiter*innen und Angehörigen verschiedener Minderheiten.
  • „Slipping“ von Lauren Beukes – eine Kurzgeschichtensammlung, die mich noch einmal darin bestärkt hat, dass ich Kurzgeschichten doch mag, nachdem ich jahrelang die Finger von allem unter Romanlänge gelassen habe. 
Andere Lieblingsmedien
Ich habe dieses Jahr entschieden zu viel Zeit auf Youtube verbracht, aber das hat mich auch mit einigen Videos in Kontakt gebracht, die ich unbedingt weiterempfehlen möchte:
Ansonsten hatte ich viel Spaß an „Birds of Prey“ und „Knives out“, zwei Filmen, die ich tatsächlich Anfang des Jahres noch im Kino gesehen habe – etwas, das mir gerade ein wenig unwirklich vorkommt. 

Blogposts
Ich bin dieses Jahr ziemlich unzufrieden mit meiner Produktivität, aber eines habe ich geschafft: Ich habe ein paar (Serien von) Blogposts geschrieben, mit denen ich sehr zufrieden bin:
Ich würde mich sehr über mehr Leser*innen auf meinem Blog freuen (auch wenn man es mir dank meiner Social-Media-Faulheit nicht anmerkt). Außerdem war ich jeweils mit mehreren Artikeln, Rezensionen und Interviews an den beiden Phantast-Ausgaben beteiligt, die dieses Jahr herausgekommen sind.
Der Download ist wie immer kostenlos, also schaut gerne rein.

Wie geht es 2021 weiter?
Obwohl ich dieses Jahr keinen Roman geschrieben habe, wird es voraussichtlich im Herbst 2021 eine neue Veröffentlichung von mir geben: ein Urban-Fantasy-Roman-Projekt aus dem Jahr 2019, das in diesem Jahr von mehreren fantastischen Sensitivty- und Beta-Leser*innen kommentiert wurde, sodass ich eine gute Grundlage für die Überarbeitung habe. 
Gerade fühlt es sich noch recht unfertig an, aber es ist das interessanteste und persönlichste, was ich bisher geschrieben habe und ich freue mich schon sehr auf den Überarbeitungs- und Veröffentlichungsprozess. Keine Ahnung, welches der vielen Projekte, die mir durch den Kopf geistern, ich anschließend in Angriff nehmen werde.
Ansonsten möchte ich wieder aktiver sein, was das Schreiben von Buchrezensionen betrifft und hier vielleicht mit mehr kreativen Formaten dafür experimentieren. Vielleicht kann ich das ja mit Journaling kombinieren, das ich dieses Jahr sehr intensiv betrieben habe.

Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch

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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
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