Wie lang sollte ein Phantastik-Roman sein? 

Swantje Niemann • 28. November 2019

Gerade ist der NaNoWriMo (National Novel Writing Month) zu Ende gegangen, und wahrscheinlich sind allen, deren Freund*innen sich daran beteiligt haben, allerlei Zahlen um die Ohren geflogen – denn beim NaNoWriMo ist das Ziel, binnen eines Monats 50.000 Wörter zu schreiben. Aber wie viel ist das eigentlich?

Zumindest für die großen Verlagsveröffentlichungen im Bereich Fantasy und Science Fiction gilt: Ein Roman dieser Länge wäre untypisch kurz. Ich habe mal auf Kobo die Wortzahlen für Fantasy- und Science-Fiction-Bücher einiger Kolleg*innen herausgesucht. Die vollständigen Titel findet ihr in Fußnote 1, Urban Fantasy ist dunkelgrün, High Fantasy hellgrün, Science Fiction türkis. Bitte keine Türkis-Hellblau-Grün-Diskussion.

Mir sind sehr selten SFF-Romane für Erwachsene unter 80.000 Wörtern begegnet (bei SFF für Jugendliche ist das etwas anderes – das im Titelbild abgebildete „Ashes & Souls“ hat 72.000 Wörter). Es gibt auch einen Unterschied zwischen den Genres: Zwar zeigen bereits die von mir gewählten Wörter die Bandbreite innerhalb der Genres, aber tendenziell sind in der High Fantasy mehr Endlos-Epen zu finden, in der Urban Fantasy mehr kürzere Romane.

Das dürfte darin begründet sein, dass es in der High Fantasy oft mehr Hauptfiguren und Handlungsstränge gibt, größere Zeiträume abgedeckt werden, und mehr Worldbuilding-Informationen vermittelt werden müssen. Für Urban Fantasy sind 1-2 Erzählperspektiven (typisch: ein*e Ich-Erzähler*in, oder eine Liebesgeschichte, die aus der Sicht beider zukünftiger Partner*innen erzählt wird) verbreiteter, und es müssen nur die magischen Elemente erklärt werden, die einer bereits vertrauten Welt hinzugefügt wurden. Hier gibt es auch teilweise mehr episodisches Erzählen: Vergleichsweise kurze, in sich abgeschlossene Detektiv- oder Liebesgeschichten fügen sich im Rahmen einer Buchreihe aus zu einem großen Ganzen zusammen. Im Science-Fiction-Genre habe ich nicht genug gelesen, um Tendenzen in der Buchlänge und die Gründe dafür analysieren zu können.

Allerdings messen nicht alle ihre Bücher in Wortzahlen. Wenn es z.B. darum geht, die Länge eines Buches präzise zu berechnen, ist die Anzahl der Zeichen wichtiger. Eine andere Maßeinheit ist die Normseite. Viele Lektor*innen und Korrektor*innen berechnen ihr Honorar nach diesen, und die Angaben, wie viele Seiten Leseprobe Verlage bei Manuskripteinsendungen wollen, beziehen sich in der Regel auf Normseiten. Allerdings sind Buchseiten oft ein wenig enger bedruckt als diese – die Drúdir-Romane sahen beide im Normseiten-Format beeindruckend lang aus, als gedruckte Bücher für Fantasy-Romane wirken sie dann doch eher schlank. (Das sind sie mit einem Wordcount von ca 130k und 104k auch).

Insgesamt überträgt sich die Länge eines Buchs nicht notwendigerweise auf seine Dicke.

Auch bei deren Dicke gibt es regionale und zielgruppenspezifische Unterschiede: Während es im englischsprachigen Raum „Mass Market Paperbacks“ mit dünnem Papier gibt, die sogar in die eine oder andere große Jackentasche passen, sind in Deutschland die Bücher meist größer (es sei denn, es handelt sich um Sonderausgaben im Taschenformat), das Papier stabiler. Deutsche Wörter sind auch länger, sodass Bücher mit der Übersetzung meist voluminöser werden – Christian Handels Recherche zu diesem Thema habe ich unten verlinkt. In Buchläden sehe ich meist auf den SFF-Tischen, die sich primär an Erwachsene richten, mehr Paperbacks mit teilweise recht kleiner Schrift. Jugend- oder YA-Bücher dagegen sind häufiger Hardcover, mit größerer Schrift und dickeren Seiten.

Also, meine Beobachtungen zu Romanen noch einmal zusammengefasst:


  1. High-Fantasy-Romane sind selten weniger als 90.000 Wörter lang, Bücher mit an die 300.000 Wörtern sind nicht unbedingt typisch, aber auch keine absoluten Ausreißer. Die meisten pendeln sich zwischen 110.000 und 180.000 Wörtern ein.
  2. Urban-Fantasy-Romane sind meist kürzer, zwischen 80.000-150.000 Wörtern
  3. Es gibt viele Möglichkeiten, mit Format und Materialien herumzuspielen, sodass ein Buch länger oder kürzer aussieht

Was ist mit Phantastik jenseits des Romans? In den USA bringt der Tor-Verlag seit ein paar Jahren vermehrt Novellen heraus, darunter z.B. die „Wayward Children“-Bücher von Seanan McGuire oder die „Murderbot Diaries“ von Martha Wells. Diese sind auch im Deutschen herausgekommen, allerdings als dicke Sammelbände, die mehrere Novellen beinhalten. Novellen und Anthologien oder auch nur ungewöhnlich kurze Phantastikromane werden hier eher von Kleinverlagen wie Art Skript Phantastik oder Periplaneta herausgebracht. Vielleicht ist es eine kulturelle Sache, dass es hier zumindest im Bereich der Genre-Fiction eine Präferenz für lange oder zumindest lang aussehende Bücher gibt. Allerdings gibt es dank der schon erwähnten experimentierfreudigen Kleinverlage, Selfpublishing und dem e-Book-Format an sich mittlerweile eine neue Flexibilität, was Buchlängen betrifft.

Für Debüt-Autor*innen, die einem Verlag oder einer Agentur ihr erstes SFF-Buch anbieten wollen habe ich den Tipp gehört, dass sich da ein Manuskript zwischen 90.000 und 110.000 Wörtern am besten eignet – lang genug, um den Genre-Konventionen zu genügen, aber nicht so lang, dass der Druck zu teuer wird. Denn gerade bei kleinen Auflagen machen ein paar Seiten mehr einen großen Unterschied.

Interessante Links:

Video mit ausführlicher Diskussion dieses Themas

Artikel über sich verändernde Buchlängen bei Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche

(1)

High Fantasy (Hellgrün)

Bernhard Hennen, James Sullivan: Die Elfen („tolkieneske“ Fantasy, Epos) 291.000 Wörter

Brian McClellan: Blutschwur (Flintlock Fantasy) 180.000 Wörter

Elea Brandt: Opfermond (Fantasythriller) 114.000 Wörter

Mark Lawrence: Prinz der Dunkelheit (Grimdark, Coming of Age) 95.000 Wörter

Urban Fantasy (Dunkelgrün)

Gesa Schwartz: Grim – Das Siegel des Feuers („Epische“ Urban Fantasy) 170.000 Wörter

Markus Heitz: Oneiros – Tödlicher Fluch (Urban-Fantasy-Thriller) 154.000 Wörter

Elizabeth May: Die Feenjägerin (Historische Urban Fantasy) 105.000 Wörter

Jim Butcher: Sturmnacht (Fantasy-Detektivroman) 87.000 Wörter

Science Fiction (Türkis)

James Sullivan: Die Granden von Pandaros (Weltraum SF? - ich muss das Buch noch lesen) 173.000 Wörter

Linda Nagata: Morgengrauen – The Red 1 (Military SF) 123.000 Wörter

Judith & Christian Vogt: Wasteland (Postapokalyptische Fiktion) 110.000 Wörter

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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
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