Fantastische Paare
Swantje Niemann • 14. Februar 2020

Gerade(1) wird mal wieder darüber diskutiert, dass romantische Elemente in SFF bei Leser*innen, die sich keinen zu „mädchenhaften“ Geschmack anmerken lassen wollen, gerne mal ein „iiiiih“ auslösen. Andere haben schon ausführlich darüber geschrieben, was das mit der Abwertung von Romantik als „Frauenliteratur-Merkmal“ zu tun hat, also lasse ich das mal und benutze die ganze Debatte stattdessen als Anlass dazu, von Büchern zu schwärmen – denn so einige Romane, die ich absolut fantastisch finde, legen zwar nicht den Fokus auf Liebesgeschichten, aber wären ohne diese sehr viel ärmer.
Hier sind ein paar High- und Urban-Fantasy-Bücher, in denen ich mich für Paare begeistern konnte:
1. Brian McClellan: Gods of Blood and Powder [Achtung, Spoiler für die Powdermage-Trilogie]
In Brian McClellans zweiter Trilogie im Powder-Mage-Universum kommt gleich dreimal einer meiner Lieblingstropes vor, wenn es um Beziehungen geht: Ein Paar, das sich bereits gefunden hat, und bei dem sich beide Partner komplett aufeinander verlassen können. Umso besser, wenn beide auch noch hyperkompetente Fantasyfiguren sind. Da sind Taniel und Ka-Poel, die mal zusammen auftreten, mal von verschiedenen Orten aus auf ihre gemeinsamen Ziele hinarbeiten, im Wissen, dass die jeweils andere Person auf sich aufpassen kann und dass sie zueinander zurückkehren werden. Dass die beiden beängstigend mächtige magische Fähigkeiten haben (Taniel ist ein Powder Mage, der es allein mit einer Armee aufnehmen kann, Ka-Poels Magie kann Menschen in Marionetten verwandeln) hilft. Dann sind da auch noch Borbador und Nila – ein lässiges Magierpaar, das der Protagonistin zur Seite steht, deren Beziehung diesen Beitrag inspiriert hat: Die Strategin Vlora. Während das Ende ihrer Verlobung mit Taniel in der Powder-Mage-Trilogie eine Menge Dinge verkompliziert, erweist es sich später als echter Glücksfall. Denn Vloras neuer Partner, Olem, ist einfach perfekt für sie. Humorvoll und gelassen unterstützt er Vlora, die sich des Gewichts ihrer Verantwortung nur zu bewusst ist. In der Welt der Powder-Mage-Romane herrscht Gleichberechtigung, und das spiegelt sich auch darin, dass die männlichen Figuren kein Problem damit haben, wenn ihre Partnerin mehr Macht oder Verantwortung hat als sie.
2. Mark Lawrence: The Book of the Ancestor
Im Konvent „Sweet Mercy“ sind so einige eindrucksvolle Figuren unterwegs – wie man es von einem Ort erwarten würde, wo Kriegernonnen ausgebildet werden und eine Äbtissin Pläne spinnt, die Jahre umfassen. Eine davon ist Sister Kettle, eine verschmitzte junge Nonne, die den Novizinnen im Kloster hilfsbereit und freundlich begegnet – und, wie man in Buch 2 und 3 mitverfolgen kann, eine ausgezeichnete Spionin und Attentäterin ist, die große Risiken eingeht, um ihre Schwestern zu schützen. Sie und ihre langjährige Partnerin, Sister Apple, sind ein anderes dieser Paare, die bereits vor Beginn des Buches zusammengekommen sind und sich nun vollkommen aufeinander verlassen. Die Freundschaften und Liebesbeziehungen zwischen den Frauen von Sweet Mercy sind einer der besten Aspekte des Buches und bilden einen starken und willkommenen Kontrast zur Düsternis der sterbenden Welt, in welcher die Trilogie spielt.
3. Gesa Schwartz: Grim
Die Grim-Trilogie erzählt die klassische Geschichte einer jungen Frau, die magische Wesen sehen kann, zur Schlüsselfigur für weltbewegende Ereignisse wird und sich in einen mächtigen, attraktiven Mann verliebt, der kein Mensch ist. Doch fast ebenso sehr wie in den Gargoyle Grim verliebt sich Mia in dessen Welt, und schon nach kurzer Zeit ist sie nicht länger auf seinen Schutz angewiesen, sondern wird eine wertvolle Verbündete für ihn. Die Beziehung der beiden ist tief und bedeutet ihnen viel, aber sie verlieren darüber nie ihre eigenen Ziele und Konflikte aus den Augen.
4. Mishell Baker: The Arcadia Project
The Arcadia Project ist eine Trilogie über Menschen, Feen, Magie und Verantwortung – aber vor allem über komplizierte Menschen in komplizierten Beziehungen. Figuren, denen psychische Krankheiten und Traumata das Leben schwer machen, navigieren teilweise mehrere ambivalente Beziehungen gleichzeitig und versuchen dabei (mit wechselndem Erfolg) niemanden zu verletzen. Millie, die Protagonistin, hat gleich mehrere Partner*innen, auf deren Gefühle sie Rücksicht nehmen muss. Das Ganze wird sensibel und einfühlsam, aber auch mit einer Menge Situationskomik erzählt, aus der Perspektive einer Figur, die vielleicht meine Lieblings-Urban-Fantasy-Protagonistin ist und Schwierigkeiten in eine unterhaltsame Fantasy-Geschichte hineinträgt, die dort sonst eher selten thematisiert werden (z.B. Leben mit einer Borderline-Störung und einer körperlichen Behinderung)
5. Brandon Sanderson: The Bands of Mourning [Achtung: Spoiler für “Mistborn: Era 2”]
In „The Alloy of Law“, dem ersten Band der neuen Trilogie im Mistborn-Universum, lernen Leser*innen zwei sehr verschiedene Schwestern kennen: Marasi, die sich für Verbrechen interessiert und rasch für den Protagonisten, den Ermittler Waxillium, zu schwärmen beginnt, und Steris, die Frau, die Wax tatsächlich heiraten soll. Auf den ersten Blick wirkt Steris steif, langweilig und unbeholfen – die Kontrastfolie zu ihrer unternehmungslustigen Schwester. Doch mit jedem Buch gewinnen sie mehr und ihre Beziehung zu Wax mehr an Tiefe. Die Charakterzüge, bei denen es zuerst aussah, als sollten sie Steris unsympathisch machen, erweisen sich später als Stärken oder erscheinen als liebenswert exzentrisch. Sanderson schildert eine sich langsam entwickelnde Beziehung, in der zwei sehr verschiedene PartnerInnen einander schätzen lernen und versteckte Facetten ihrer Persönlichkeit offenbaren, und liefert mit der Darstellung Steris’ auch positive Repräsentation von Menschen auf dem Autismusspektrum, die, soweit ich das mitbekommen habe, gut angekommen ist.
(1) Das ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels schon wieder eine Weile her, aber da das Thema immer wieder aufkommt, könnte es bald wieder aktuell werden.

Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.

Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt. Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).