Es muss nicht immer ein Krieg sein – Ideen für andere Fantasykonflikte

Swantje Niemann • 27. Februar 2020
Bild: Ausschnitt aus dem Bildteppich von Bayeux (Wikimedia Commons)
High und Urban Fantasy, Science-Fiction und Horror haben alle eine wahrnehmbare Tendenz, Konflikte zu schildern, die durch Gewalt heraufbeschworen und durch Gewalt gelöst werden – selbst Romane, die versuchen, ausgetretene Pfade zu verlassen, wie z.B. der Science-Fiction-Roman „Wasteland“, setzen auf diese Formel, wie Heike Lindhold zutreffender Weise bemerkte. Und das Urban-Fantasy-Genre liebt zum Beispiel seine übernatürlichen Detektive, die nicht nur Spürsinn, sondern auch eine Menge Munition magischer und gewöhnlicher Art mitbringen und ohne große Hemmungen einsetzen. Auch das High-Fantasy-Genre hat seine Geschichten über früher oder später sehr gefährliche Nachforschungen – so balancieren nahezu alle „Powder Mage“-Romane Brian McClellans gekonnt Handlungsstränge, in denen ein Detektiv oder Spion im Vordergrund steht, und solche, in denen es um Soldat*innen und Offizier*innen geht, um eine abwechslungsreiche Geschichte zu schaffen. Aber früher oder später münden ihre Geschichten in die eines großen Kriegs. 
Denn in den Sekundärwelten der Phantastik herrscht selten Frieden: Krieg steht bevor, ist in vollem Gange oder Menschen müssen mit dem komplizierten Erbe gewonnener oder verlorener Kämpfe umgehen. Letzteres ist seltener. Dies ist nur eine Beobachtung, keine Kritik. Kriege sind im Leben vieler Menschen unmittelbar und in dem anderer indirekt präsent – in den Nachrichten hören wir von bewaffneten Konflikten andernorts und vergangene Kriege sind zum Teil dafür verantwortlich, in welchen Grenzen wir leben und welche Sprachen wir sprechen. Es ist nicht überraschend, dass das High-Fantasy-Genre seine einzigartigen Möglichkeiten ausschöpft, sich mit dem Phänomen Krieg auseinanderzusetzen. Und dieses eröffnet wiederum eine Vielzahl von Möglichkeiten, um die verschiedensten Geschichten zu erzählen.
Natürlich ist das nicht allgegenwärtig. Der Protagonist von Saladin Ahmeds „Das Schwert der Dämmerung“ ist nicht nur Teeliebhaber, sondern auch ein Mann mit einem klar abgegrenzten Job: Adoulla Makhslood jagt Ghule. Scott Lynchs „Die Lügen des Locke Lamora“ ist ein Heist-Novel, der zwar stellenweise brutal ist, aber wo nur eine Handvoll Personen gegeneinander kämpft. Katherine Addison ist berühmt dafür, dass sie mit „Der Winterkaiser“ einen Fantasyroman geschrieben hat, in welchem es nicht um Kämpfe geht. 
Dennoch hat High Fantasy eine lange Tradition von Kriegsgeschichten: „Der Herr der Ringe“ und dem „Silmarillion“, die teilweise ihrerseits aus poetischen Traditionen schöpfen, welche heroische Kämpfer in den Mittelpunkt stellen, erzählen beide Geschichten von Kriegen. Und selbst „Der Hobbit“ endet mit einer großen Schlacht. Gerade der „Hobbit“ betont die Tragik und Sinnlosigkeit des von Stolz und Gier heraufbeschworenen Konflikts. Viele Fantasy-Romane neueren Datums positionieren sich ähnlich kritisch, weniger durch explizite Kommentare von Figuren, sondern vielmehr, indem sie in Beschreibungen von außer Kontrolle geratenen Armeen schwelgen und ihre Protagonisten physische und psychische Verletzungen davontragen lassen, welche sie für den Rest ihres Lebens begleiten. 
Wieder andere Romane, wie zum Beispiel Robert Jackson Bennets „Göttliche Städte“-Trilogie und Ken Lius „Seidenkrieger“-Reihe, setzen sich mehr mit dem Danach auseinander. Letzterer fragt: Was folgt auf den Sturz eines tyrannischen Kaisers? Doch selbst in „Die Götter von Dara“, in welchem der Aufbau einer gerechten politischen Ordnung im Vordergrund steht, gibt es am Ende eine Schlacht. Sie wirkt sonderbar unmotiviert, als habe Liu die eher blassen Gegenspieler seiner Protagonist*innen ins Spiel gebracht, weil er damit rechnete, dass Fantasyleser*innen nun einmal aufeinanderprallende Armeen erwarteten, nicht, weil sie ihn tatsächlich interessierten.
Das wirft interessante Fragen auf. Bei allem, was High Fantasy zur Auseinandersetzung mit Krieg und sogar der Vermittlung pazifistischer Botschaften leisten kann, und bei allen Möglichkeiten, welche Kriege (oder die Gefahr eines solchen) für Fantasyplots eröffnen: Ist die Erwartung, dass es in High-Fantasy-Romanen früher oder später um Krieg gehen wird, nicht mittlerweile ebenso einschränkend für das Genre, wie sie beflügelnd ist? Ich bin immer offen für eine gute, respektvoll erzählte Kriegsgeschichte (einige meiner Lieblingsromane spielen vor dem Hintergrund eines beginnenden/stattfindenden/erst vor kurzem geendeten Krieges), aber ich habe mir auch Gedanken gemacht, was für bisher seltener genutzte Konflikte Potenzial für spannende Geschichten in Sekundärwelten hätten.
Dabei standen für mich mehrere Kriterien im Vordergrund: 
  • Ist der Konflikt spannend und steht viel auf dem Spiel? 
  • Berührt er Erfahrungen und Fragen, die auch in der realen Welt relevant sind?
  • Gibt er eine Gelegenheit, die Besonderheiten des Fantasy-Settings aufzuzeigen?
Mir sind auf Anhieb 4 Konflikte eingefallen, die ich bisher relativ selten in High Fantasy gesehen habe (zumindest als Hauptkonflikt), die ich mir aber sehr interessant vorstelle:
In den nächsten Wochen und Monaten werde ich nach und nach Artikel dazu hochladen.
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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Vier der im Beitrag beschriebenen Bücher in einem weißen Regal
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Ich habe dieses Jahr wieder einige Bücher entdeckt, die ich nur zu gerne weiterempfehle.
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Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
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"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
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