Haben Geschichten Macht?

Swantje Niemann • 3. Dezember 2020
Bild: Evgeni Tcherkasski auf Pixabay
Diese unwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Macht von Geschichten habe ich vor ein paar Monaten geschrieben und dachte, dass es mal an der Zeit ist, sie zu posten. Betrachtet sie eher als eine Art öffentlichen Tagebucheintrag. Bücher, auf die ich zurückgegriffen habe, sind unten verlinkt.

Ich habe vor fast drei Jahren einen Artikel über die Macht der Sprache und die politische Kraft von Fantasy und Science-Fiction geschrieben, aber wenn ich ehrlich sein soll, bin ich nicht sicher, ob ich mir das noch abnehme. Immerhin ist es die größte Stärke und die größte Schwäche dieser Genres, dass sie Leser*innen entscheiden lassen, in welchem Maße sie das Gelesene/Gesehene/Gehörte auf ihre Realität anwenden. Botschaften müssen schon sehr „in your face“ sein, damit wirklich niemand darum herumkommt, sie zu rezipieren und sich dazu zu positionieren. 
Ist unsere Debatte um die Macht von Sprache und Literatur und die Verantwortung, die Gesellschaft voranzubringen, die schwer auf unseren Schultern lastet, letztlich nur ein verzweifelter Versuch von Autor*innen – gerade denen, deren Schaffen gerne als trivial abgetan wird – uns ein bisschen relevant zu fühlen? Ist Literatur inhärent politisch und gleichzeitig immer nur so politisch, wie die Lesenden das zulassen? Es sind immerhin zu einem Großteil ihre Voreinstellungen, die bestimmen, ob und in welche Richtung sie sich von einem Buch beeinflussen lassen – die Fragen, mit denen sie an Literatur herangehen, die Überzeugungen, die sie bestätigt sehen wollen. 
Ist das nur mein Pessimismus? Ich habe einmal recherchiert.
Zumindest haben Geschichten dahingehend Macht, dass sie Leser*innen verletzen und ihnen vermitteln können, dass in bestimmten Arten für Geschichten kein Platz für sie ist / dass sie nur stereotype Repräsentation erfahren, bzw. selbst zur Erhaltung von Stereotypen beitragen. Psychologische Phänomene wie Quellenamnesie (das Sich-Erinnern an Fakten, aber nicht an ihre Quelle, was dazu führt, dass Fiktion als Fakt oder sogar eigenes Erleben erinnert werden kann) oder der Fakt, dass Menschen fiktionale Medien zwar weniger kritisch rezipieren, aber durch sie durchaus Einstellungen oder Ideen davon, wie häufig bestimmte Begebenheiten auftreten, aufnehmen können, sind ein weiterer Grund dafür, wieso beim Erzählen manchmal Vorsicht geboten ist. Ich habe z.B. eine Historische-Fantasy-Kurzgeschichte zurückgezogen, teils wegen Aneignungsbedenken, aber vor allem, weil ich nicht damit rechnete, dass Leser*innen genug über die geschilderte Kultur wussten, um Fehler und künstlerische Freiheiten als solche zu erkennen, und sich womöglich Dinge falsch einprägen würden. 
Mein Fazit aus meiner kleinen, unprofessionellen Recherche der Psychologie von Unterhaltungsrezeption ist dementsprechend: Glückwunsch. Du kannst Schaden anrichten. Aber kann dein Roman auch etwas Gutes bewirken? 
Zumindest Catherynne Valente ist dieser Meinung. Und auch ich glaube, dass wir durch Lesen viel über Empathie und kritisches Denken lernen können. Auch wissenschaftliche Studien liefern ziemlich überzeugende Argumente dafür. Gerade „Literary Fiction“ – also Literatur, die tief in die Psyche der Figuren eintaucht, aber die Lesenden auch selbst die eine oder andere Lücke durch ihr Einfühlungs- und Vorstellungsvermögen füllen lässt – steigert erwiesenermaßen die Empathie der Lesenden.
Gleichzeitig stößt aber auch gerade Genre-Literatur dabei teilweise an ihre Grenzen.
In „The Revolution Will be Dramatised” und “Sind Nerds die besseren Menschen” schreiben Bethany C. Morrow und Tommy Krappweis über ihre Frustration mit Menschen, die den Revolutionär*innen in „Die Tribute von Panem“ zujubelten, um dann angesichts von rassistischer Gewalt stumm zu bleiben, oder die stur die fortschrittlichen Botschaften der Science-Fiction-Serie ihrer Wahl ignorieren. Auf Facebook habe ich eine Zeitlang regelmäßig die Augen über eine Gruppe für Cyberpunkkunst verdreht, weil in der dreckig-neonfarbenen Traumwelt so einiger Mitglieder kein Platz für die Repräsentation von Frauen und LGBTQ+-Personen jenseits von objektifizierenden Darstellungen und jede Kritik eine unverzeihliche Herausforderung war. Und vor ein paar Monaten (kein Phantastik- und nicht mal ein Literatur-Beispiel, aber einfach zu unterhaltsam) erklärte ein ehemaliger Fan von „Rage Against the Machine“, dass er jahrelang ihre Musik gehört habe, aber sie jetzt nicht mehr unterstützen wolle, weil sie plötzlich „politisch würden“.
Freiheitskampf als pure Ästhetik und das Bestehen auf einer ausschließlich cis-männlichen Perspektive in einem Genre, das für sich in Anspruch nimmt, Kategorien wie Körper und Geschlecht zu verwischen … das klingt nicht gerade, als hätte der Konsum phantastischer Geschichten positive Spuren hinterlassen. 
Rezipient*innen haben so eine Angewohnheit, zu ignorieren, was in einem Werk nicht ihrer bevorzugten Interpretation entspricht. Das kann positiv und ermächtigend sein, indem es z.B. Menschen erlaubt, sich in Geschichten repräsentiert zu sehen, die ursprünglich nicht mit ihren Erfahrungen im Hinterkopf geschrieben wurden. (Es gibt z.B. einen Fantasyroman, in dem ich meine Auseinandersetzung mit einer psychischen Krankheit besser wiedergespiegelt fand als in so manchem Sachbuch zu dem Thema, und das ich daher zu etwa einem Drittel als Metapher lese.) Aber auf der anderen Seite erlaubt es auch einige eher merkwürdige Aneignungen phantastischer Inhalte, siehe z.B. die unironische Verwendung von Memes, die Donald Trump als den Kaiser aus Warhammer 40.000 – einem over-the-top und zumindest noch halb satirischen dystopischen Universum – zeigen und das positiv meinen. Phantastische Welten lassen sich also in den Köpfen der Lesenden mit den verschiedensten politischen Botschaften füllen oder aber – vermeintlich – von ihnen befreien, auktoriale Intention wird beiläufig zur Seite gewinkt.
Und wenn ich ehrlich sein soll: Ich habe die Politik in der Phantastik auch erst gesehen, als ich dafür bereit war. Ich bin zwar durch meinen Kontakt mit der deutschen Phantastikbubble politisch in den letzten Jahren noch mal ein ganzes Stück nach links gerutscht und sensibler gegenüber Botschaften in Büchern geworden – auch in meinen eigenen –, aber das hat mehr mit den Leuten hinter den Büchern zu tun als mit den Büchern selbst.
Ja, das hier sind Anekdoten, aber ich glaube nicht, dass sie ganz ohne Aussagekraft sind. Den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Beeinflussbarkeit von Menschen durch Medien steht gegenüber, dass gerade phantastische Literatur den Lesenden oft die Wahl lässt, wie stark sie diese auf ihr Leben beziehen wollen. Im gleichen Buch, in dem ich auch über die Indikatoren für die Macht von Medien gelesen habe, wurde auch ein Experiment beschrieben, bei dem das gleiche Bild bei Männern und Frauen verschiedene Stereotypen und Urteile abrief. Das Medium interagiert also immer auch mit der einzigartigen Perspektive, des/der/* Betrachtenden.
Nur fürs Protokoll: Ich stehe nach wie vor als Autorin und Lektorin voll dahinter, dass wir anspruchsvolle Phantastik mit maximaler Vielfalt von Figuren und Perspektiven schreiben und lesen sollten, die mit einem diversen Publikum im Kopf geschrieben wurde. Ich habe großen Respekt vor Autor*innen, die sich in ihren Büchern zum Kampf für Toleranz, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bekennen - oder aber Geschichten erzählen, die Leser*innen eben keine klare Orientierung geben und somit zum eigenständigen Nachdenken, Interpretieren und Urteilen anregen, was für mich eine ebenso wichtige Aufgabe von Literatur ist.  
Aber ich glaube auch, dass ein*e individuelle Autor*in nicht annähernd so viel Einfluss hat, wie wir es uns manchmal einreden. Autor*innen haben Macht, aber die Rezipient*innen haben auch einiges zu sagen und das würde ich auch gerne mehr diskutiert sehen. Gelegentlich werden Lesende in Diskussionen um dieses Thema beinahe als Vakua dargestellt, die sich bereitwillig und ohne zu hinterfragen mit den Ideen anderer Leute füllen lassen. Und das ignoriert meiner Meinung nach sowohl ihr Potenzial zur kritischen Rezeption als auch ihr Potenzial, Botschaften und Implikationen schlichtweg nicht zu bemerken. 
Tja, und jetzt … Nichts weiter, würde ich sagen. Ich werde weiter Romane schreiben, in denen zwischen einer Menge Ideen, die meinen diametral entgegengesetzt sind, ich die eine oder andere aufrichtige Überzeugung verstecke, und versuchen, die beste und verantwortungsvollste Autorin zu sein, die ich sein kann – ohne viel Glauben daran, dass ich irgendetwas Positives bewirke, außer der einen oder anderen Person etwas eskapistische Entspannung zu verschaffen (was ja an sich schon wertvoll ist), aber vielleicht mit ein bisschen Hoffnung. Ich glaube, so zu tun, als hättest du als Schreibende*r Einfluss, ist eine ziemlich sichere Wette – im schlimmsten Fall richtest du keinen Schaden an, im Besten bewirkst du vielleicht wirklich etwas. Letzten Endes führen die Gedankenpfade von Pessimismus und Hoffnung an denselben Ort. 

  • Meine Quelle für Unterhaltungspsychologie: "The Psychology of Entertainment Media - Blurring the Lines Between Entertainment and Persuasion" (Hrsg. L.J. Shrum, 2004)
  • Meine Quelle für Quellenamnesie: "Das kommunikative Gedächtnis" (Harald Welzer,  2002)


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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
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