Rezension: Best Served Cold (Joe Abercrombie)
Swantje Niemann • 27. August 2020

Cover: (c) Gollancz
Das Land Styria ist von Krieg zerrissen – für die meisten Menschen bedeutet das ein Leben in Armut und ständiger Gefahr. Für Monzcarro („Monza“) Murcatto und ihren Bruder Benna bedeutet es Profit. Immerhin stehen sie an der Spitze eines erfolgreichen Söldnerheeres. Zumindest, bis ihr Erfolg ihrem Auftraggeber, Herzog Orso, suspekt wird. Eine Audienz endet mit Bennas Tod und Monzas knappem Überleben. Sie verdankt es einem mysteriösen Fremden, der sich ihrer angenommen hat, nachdem sie mit einer zerschnittenen Hand und unzähligen gebrochenen Knochen am Fuß eines Berges landete.
Obwohl Monza selbst den einen oder anderen Verrat auf ihrem Konto hat, schwört sie Rache – alle sieben Personen, die den Mord geplant oder zumindest tatenlos mitangesehen haben, müssen sterben. Dafür rekrutiert sie Unterstützung: Den manierierten Giftmischer Morveer, seine ausgeglichene, immer hungrige Assistentin Day, den von Zahlen und wenigen Skrupeln besessenen, sozial verunsicherten Friendly, Shylo Vitari (eine alte Bekannte für Fans der First-Law-Trilogie), Monzas ehemaligen Mentor Nicomo Cosca, dessen Alkoholproblem so groß ist wie sein Ego, und schließlich Caul Shivers, einen Barbaren aus dem Norden, der in Styria ein neues Leben als ein besserer Mensch anfangen will.
Nach und nach wandert diese Gruppe von Stadt zu Stadt und meuchelt nach und nach die Schuldigen, wobei sie ihrem herausforderndsten Ziel, Herzog Orso, immer näherkommen. Mit von der Partie: Eine Menge Entwicklung in den Persönlichkeiten und Beziehungen der Figuren und eine noch größere Menge Kollateralschaden. Denn auch wenn Monza eigentlich nur sieben Menschen töten will, haben ihre Angriffe eine Angewohnheit, zu eskalieren und sie tief in die Kämpfe und Ränkespiele des styrischen Adels zu verstricken, wobei sich wieder zeigt, dass ihr Seitenwechsel wenig ausmachen.
Es ist das Versprechen von viel Geld, das das Team um Monza zusammenhält, und Vertrauen und Zuneigung kommen nur in Ausnahmefällen auf oder mischen sich mit weitaus zerstörerischen Gefühlen. Das hält die Figuren aber nicht davon ab, unterhaltsame Dia- und Monologe zu halten. Cosca erweist sich als überraschend selbstreflektiert – beziehungsweise genießt es, sich selbst zu reflektieren, sobald sich ihm ein Publikum bietet. Shivers hat einige erstaunlich kluge Dinge zu sagen und denkt sich entschieden mehr, als er sagt. Er und Monza sind die beiden Figuren, welche die größte Charakterentwicklung durchlaufen und welche durchgehend „menschlich“ bleiben. Beide Figuren handeln auf ihre Weise extrem, aber ihr Handeln ist bei aller Widersprüchlichkeit nachvollziehbar. Die anderen Figuren – gerade Cosca – erleben wir manchmal in sehr nachvollziehbaren Momenten, in denen sie Mitgefühl wecken, aber oft erscheinen sie bewusst überzeichnet, ihre Manierismen übertrieben, ihre Dialoge ein wenig zu poliert. Das Resultat ist eine Art „Schaukeln“ beim Lesen – ich wurde in die Perspektive der Figuren hineingezogen, und erlebte das Geschehen dann wieder wie ein schwarzhumoriges Theaterstück, bei dem die Figuren vielleicht nicht an die vierte Wand klopfen, aber kurz davor sind. Auch einige der Plotentwicklungen tragen zu diesem Gefühl bei.
Überhaupt ist „Best Served Cold“ ein von grimmigem Humor durchzogenes Buch – das beginnt auf der Ebene von Sätzen, aber zieht sich auch durch die oft mehr als nur ein wenig grausamen Ironien, welche die Handlung auf Kapitel, aber auch auf Buchebene durchziehen. Die Sprache des Buches ist halb schlicht, halb verspielt – Abercrombie benutzt Wiederholungen, die Kapitel als Motiv durchziehen, oder die verschiedene Perspektiven miteinander verknüpfen. Es ist ein schönes Stilmittel, dass vielleicht sogar noch wirkungsvoller gewesen wäre, wenn er es seltener und subtiler eingesetzt hätte.
Der Humor und der Fakt, dass einige der Figuren verblüffend entspannt im Angesicht brutaler Gewalt sind, ändert nichts an der Macht der Ereignisse, das Leseerlebnis manchmal auf die beste Weise ungemütlich zu machen – das Buch lädt dazu ein, um tote Figuren, vor allem aber um die Ideale lebender Figuren zu trauern. Gewalt, ob sie nun von den Protagonist:innen ausgeht oder sich gegen sie richtet, ist gleichzeitig alltäglich und eine erschütternde Erinnerung an die Fragilität menschlicher Körper und Persönlichkeiten.
Ich erinnere mich kaum noch an die Lektüre der „First Law“-Trilogie, aber weiß noch, dass ich den Weltenbau etwas flach und blutleer fand. Auch „Best Served Cold“ ist in dieser Hinsicht eher minimalistisch, arbeitet mit vertrauten Abkürzungen des Genres und liefert gerade genug Kontext und Kulisse, um die Figuren im Setting zu verwurzeln. Aber vielleicht, weil immer wieder auf die Ereignisse der „First Law“-Trilogie verwiesen wird und Andeutungen über Ereignisse in der Ferne fallen, fühlt sich die Handlung hier angenehm in die Ereignisse einer größeren Welt verstrickt an.
Ich habe auch ein paar kleine Beschwerden – bei Day tritt „immer hungrig“ gelegentlich an die Stelle einer Persönlichkeit, und Shylo Vitaris Rolle ist am Anfang halbwegs und am Ende wieder wichtig (oder zumindest für eine Überraschung verantwortlich), aber in der Zwischenzeit ist sie gerade im Vergleich zu den markanteren Figuren mehr oder weniger „irgendwie da“. Und die Motivation einer wichtigen Figur bleibt im Dunkeln – auch wenn angedeutet wird, dass sie in einem anderen Buch bereits enthüllt wurde.
Aber alles in allem ist mein Eindruck von dem Buch sehr positiv. Es ist auch, so ungerecht die geschilderte Welt ist, keineswegs ein Manifest für rücksichtsloses Verhalten, wie man vielleicht vermuten könnte. Zahlreiche Figuren bewundern Mitgefühl und Integrität – nur eben aus sicherer Entfernung.
Biographische Angaben: Gollancz (2010), 672 Seiten, ISBN: 978-0575082489
Der Roman ist auf Deutsch als „Racheklingen“ erschienen.

Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.

Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt. Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).