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Schreiben: Tipps und Analysen - Übergangsszenen

Swantje Niemann • März 27, 2019

Eng verwandt mit dem Beitrag zu " Pacing ": meine Überlegungen zu etwas, das mich beim Schreiben regelmäßig vor Herausforderungen stellt.

Als ich meinem Freund „Drúdir 3“ zu lesen gegeben habe, war eine seiner Anmerkungen, dass Figuren sich an einigen Stellen geradezu von A nach B zu beamen scheinen – obwohl ich erwähnte, dass sie gehen oder die Straßenbahn benutzen, fühle es sich nicht wirklich so an, als läge tatsächlich räumliche und zeitliche Distanz zwischen den beiden Szenen, die ich im entsprechenden Kapitel beschreibe. Und er hat vollkommen recht. Ich neige dazu, Kapitel zu schreiben, die teilweise einfach nur lange Szenen sind, und statt einen Übergang zwischen zwei Szenen zu gestalten, lasse ich lieber das Kapitel enden, wechsle die Perspektive und kehre dann zu den Figuren zurück, wenn sie sind, wo ich sie haben will.
Einerseits basiert das auf der relativ universell anwendbaren Erkenntnis, dass ich nichts schreiben sollte, was mich und Leser*innen bloß langweilt. Aber wie ich am Beispiel meines Freundes gesehen habe, können die „und dann waren sie plötzlich da“-Momente zu einem irritierenden Leseerlebnis führen, und falls ich mal einen Roman mit weniger Perspektiven und längeren Kapiteln schreiben, kann ich mich nicht immer mit einem Perspektivwechsel durchmogeln.
Also, wie gestaltet man Übergänge zwischen den Szenen? Hier sind zwei Fragen, die beim Schreiben guter „Zwischenszenen“ helfen könnten.

1. Welche konkreten Details machen eine Szene bildhaft? Wie bewirke ich Abwechslung?
Eine Szene, die nur dazu dient, eine Brücke zwischen zwei interessanten Ereignissen zu sein, wird Leser an sich nicht interessieren. Hier lohnt es sich, anzuschauen, was in der Szene unmittelbar davor und unmittelbar danach die Stimmung beherrscht und was diese Szenen im Kontext des Buches bewirken. Waren sie eher erklärungslastig? Dann sollte die „Zwischenszene“ durch einen Dialog/ ein Ereignis aufgelockert werden, dass lustig oder in irgendeiner Form emotional aufwühlend ist. Waren sie actionreich? Dann kann die Figur unterwegs darüber nachdenken und die Ereignisse verarbeiten. Geht es im Buch eher düster zu? Vielleicht könnte die Figur etwas Schönes/ Ermutigendes sehen, um zu verhindern, dass alles zu Schwarz-auf-Schwarz wird.
Vielleicht nimmt die Figur auch ihre Umgebung bewusst war, und die Szene ist somit eine gute Gelegenheit, Worldbuilding-Details einzustreuen. Auf jeden Fall helfen Sinneswahrnehmungen (vielleicht kommt die Figur an einem Stand mit Essen vorbei, bemerkt ihren Hunger und beschleunigt ihren, weil jetzt schnell nach Hause will), um ein „Sie ging los. Wenig später war sie zu Hause.“ in eine lebendigere Darstellung umzuwandeln. Die Körperwahrnehmung der Figuren hilft auch, um das Verstreichen von Zeit deutlich zu machen. Tun ihre Füße nach stundenlangem Stehen oder Laufen weh? Ist sie vielleicht früh morgens fröstelnd losgegangen, aber macht nun ihre Jacke auf, weil die Mittagssonne am Himmel steht? Beides ist ein guter Weg, um zu zeigen, dass jemand seit einer Weile unterwegs ist.

2. Wie kann die Szene für das Buch bewirken?
In der Regel stellt jeder Roman dem Leser mehr als eine Frage. Es gibt nicht nur den zentralen Plot, sondern z.B. auch die Frage, wie sich die Hauptfigur und ihre Beziehungen zu anderen Figuren durch ihre Erlebnisse verändern werden. Und dann kommen noch Subplots dazu.
Beispiel:
Sagen wir mal, wir haben es mit einem Fantasyplot zu tun: Die undurchschaubare rechte Hand des Königs schickt zwei Mitglieder der Königsgarde in die Hauptstadt des Nachbarlandes, um dort ein mächtiges magisches Artefakt zu stehlen. Die beiden jungen Männer stammen aus konkurrierenden Familien, aber stellen unterwegs fest, dass sie einander sympathisch und sogar attraktiv finden. Daraus ergeben sich nun folgende Fragen:
- Wie kommen sie an das Artefakt?
- Was steht auf dem Spiel, wenn sie es stehlen/ nicht stehlen/ erwischt werden?
- Warum sollen sie es überhaupt stehlen?
- Wie entwickelt sich die Beziehung der beiden?
- Wem können sie in der Stadt trauen?
Eine Szene, in der die beiden unterwegs sind, könnte sie auf verschiedene Weisen näher an die Antwort auf eine dieser Fragen bringen (und nebenbei vielleicht noch einiges über das Worldbuilding/ die Welt verraten).
Sagen wir, sie nähern sich dem Stadttor und kommen an einem Galgen vorbei. Ein Schild verrät, dass hier ein „Dieb und Spion“ hängt → sie wissen nun, dass sie lieber vorsichtig sein sollten.
Oder: Einer von beiden reitet voraus. Der zurückbleibende Mann stellt überrascht fest, dass er sich irgendwie doch an seinen Begleiter gewöhnt hat und ihn ein bisschen vermisst.
Oder: Sie langweilen sich. Einer von ihnen wiederholt einen bekannten Witz über den Berater des Königs, der sie losgeschickt hat, der dessen Vertrauenswürdigkeit in Frage stellt. Sie unterhalten sich kurz darüber, wie wenig sie über die Hintergründe ihrer Mission wissen – oder einer von ihnen denkt darüber nach, aber traut sich nicht, dem anderen anzuvertrauen, dass er sich Sorgen macht. Dass er es später tut, zeigt, dass zwischen den Beiden Vertrauen aufgekeimt ist.
Szenen können viele Funktionen erfüllen, zum Beispiel:
- Darstellung von Ereignissen und Informationen, die den zentralen Konflikt vorantreiben/ die Wahrnehmung des zentralen Konflikts ändern
- Charakterentwicklung/ Enthüllung von Eigenschaften eines Charakters
- Charakterinteraktion und Entwicklung von Beziehungen
- Darstellung interessanter Worldbuilding-Details: Flora, Fauna, Kultur (Rituale, Wertvorstellungen, mündl. Überlieferungen, ...)
- Vorantreiben/ Auftauchen eines Subplots/ einer neuen Frage
- Verhandlung gesellschaftl./ philosoph. Fragen, die das Buch streift
Nicht alles, was in einem Buch passiert, muss unmittelbar mit dem Hauptplot zusammenhängen. Tatsächlich wirken Welten immer dann sehr kulissenhaft, wenn Leser*innen nur die Informationen über sie erhalten, die sie brauchen, um den Plot zu verstehen – in solchen Fällen fühlt es sich leicht an, als würde die Welt vor der Hauptfigur entstehen und sich hinter ihr wieder auflösen, ohne unabhängige Existenz und Geschichte.
Aber Szenen funktionieren immer dann am besten, wenn sie mehr als eine Funktion für das Buch erfüllen. Die relevante Frage bei Szenen, die primär dazu dienen, zwei wichtigere Szenen miteinander zu verbinden, ist also: Wie kann ich etwas in diese Szene packen, dass etwas Neues über die Welt/ die Charaktere/ das zentrale Problem des Buches enthüllt?

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Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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