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Schreiben: Tipps und Analysen - Magiesysteme

Swantje Niemann • Aug. 15, 2019

Wie schafft man ein Magiesystem, das Leser*innen staunen lässt, aber nicht den Plot zerbricht? Ich habe mir einmal angeschaut, wie verschiedene Autor*innen das gemacht haben.

1. Harte Magiesysteme
Ein relativ neuer Trend in der Fantasy sind sogenannte harte Magiesysteme – Magiesysteme, deren Regeln klar und transparent definiert sind, sodass Leser*innen wissen, was die Figuren tun und nicht tun können. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel ist Brandon Sandersons „Kinder des Nebels“ – hier können Menschen mit der entsprechenden Begabung gelöste Metalle verdauen, um damit sehr spezifische Dinge, zum Beispiel Druck gegen nahegelegene metallische Objekte, zu erreichen. Das klingt zuerst unspektakulär, aber weil Figuren sich ihrer Kräfte auf kreative Weise bedienen, können sie nahezu die Schwerkraft austricksen und noch andere beeindruckende Dinge tun, die eher noch staunenswerter sind, weil man weiß, dass die Figuren ihre Erfolge ihrer Cleverness und den Schlupflöchern in den Gesetzen der Magie verdanken.
Ein anderes „hartes“ System ist Brent Weeks auf Farben basierende Magie, die wir in „Schwarzes Prisma“ kennenlernen. Hier wandeln Magier farbiges Licht in Materie um, und es ist relativ klar, was man (nicht) bewirken kann, wenn man in der Lage ist, eine bestimmte Farbe zu „wandeln“. (Weeks baut das System in den Nachfolgebänden mehr und mehr aus und es kommen „weiche“ Aspekte hinzu, aber zumindest am Anfang wirkt alles sehr klar und eindeutig). Magie hat hier nicht nur klare Limits, sondern auch einen präzise definierten Preis – wer sie häufig benutzt, muss mit einem frühen Tod rechnen.
Diese Systeme sind deshalb interessant, weil sie die Figuren zwingen, einfallsreich mit den begrenzten Mitteln umzugehen, die ihnen zur Verfügung stehen, und weil sie einige Probleme weicher Magiesysteme vermeiden. Dadurch, dass magische Fähigkeiten sehr spezifisch sind, gibt es Situationen, in denen sie nutzlos sind und Figuren andere Lösungen suchen müssen, und die Transparenz des Systems und der Fähigkeiten der Figuren vermittelt Leser*innen einen klaren Eindruck davon, wie große Sorgen sie sich um sie machen müssen.
Auch sind beide in den Beispielen erwähnte Magiesysteme deshalb interessant, weil sie auch Möglichkeiten zur Neutralisierung der Magie beinhalten. Selbst eine so mächtige „Nebelgeborene“ wie Vin ist ohne ihre Metalle geschwächt und ein/e „Wandler*in“ muss Licht in seiner/ihrer Farbe sehen können, um Magie nutzen zu können.
Was bei diesen Systemen also entfällt, ist die Gefahr eines magischen Deus ex Machina, aber ebenso gehen sie oft mit Abstrichen einher, was das Staunen der Leser*innen über eine mysteriöse Fantasywelt angeht. Ein erklärtes Geheimnis ist keines mehr und die Atmosphäre der Welt wirkt weniger phantastisch.

2. Weiche Magiesysteme
Weiche Magiesysteme haben den Vorteil, dass sie ein Gefühl des Numinosen wecken, die Aura von Staunen und Geheimnis in Fantasy bringen, die viele Leser*innen ursprünglich für das Genre begeistert hat.
Jedoch verbergen sich hier auch Gefahren. Schnell kann es beliebig wirken, was eine Figur kann oder nicht kann. Womöglich sieht es sogar aus, als sei die Magie den Erfordernissen des Plots untergeordnet, was wiederum der inneren Konsistenz und Glaubwürdigkeit der Welt schadet. Auch stellt sich, wenn Magie keine klar abgesteckten Grenzen hat, die Frage, wieso die Figuren sie nicht zur Lösung aller Probleme verwenden.
Allerdings lässt sich das auch vermeiden. Hier sind sechs Versionen weicher Magie, die meiner Meinung nach relativ leicht zu akzeptieren sind.

2.1 Es gibt (wahrscheinlich) Regeln, aber wir sehen sie nicht
Es wird nie explizit erklärt, was Magie kann und was nicht, aber gleichzeitig passt alles irgendwie zusammen und Leser*innen haben eine Idee, was sie erwarten können. Bernhard Hennen zeigt z.B., dass die Figuren in „Die Elfen“ und den Nachfolgebänden kleinere Zauber relativ mühelos (oder sogar unbewusst) meistern, aber an anderen Dingen hart arbeiten müssen. Zwar gibt es auch Figuren, für die diese Regeln nicht gelten, aber auch wenn Leser*innen nicht genau benennen können, wie die Magie funktioniert und wer was damit bewerkstelligen kann, haben sie doch ein gutes Gefühl dafür, wozu die Protagonisten (die tw. nur sehr spezifische Zauber beherrschen) in der Lage sind. Verstärkend kommt hinzu, dass es sich größtenteils um relativ traditionelle Magie handelt, die Fantasy-Leser*innen zu akzeptieren gewohnt sind.
Als am Ende Magie eine große Rolle spielt, um einen zentralen Konflikt zu lösen, erscheint das nicht wie Deus ex Machina, weil die Gegenstände und Zauber, die dabei involviert sind, bereits vorher eingeführt wurden.

2.2 Magie folgt narrativen Mustern/ greift auf Motive aus Märchen und Mythen zurück
Die meisten Leute, die Türstopper von Fantasyromanen lesen, sind auch mit einer Menge anderer Bücher vertraut und haben sich bewusst oder unbewusst deren Strukturen eingeprägt, gerade die von Märchen und Mythen. Wenn ein Buch einer solchen Struktur oder aber direkt auf einen bekannten Mythos Bezug nimmt, wie z.B. Rick Riordans Percy-Jackson-Romane, dann verleiht der Bezug auf den Mythos, der für die Dauer des Romans gewissermaßen zum historischen Text wird, den phantastischen Elementen Legitimität. Hier werden Kugelschreiber zu Schwertern und Lehrerinnen zu Monstern, und es fühlt sich stimmig an, weil das Schwert und das Monster mehr oder weniger bereits existieren.
Wenn die Hauptfigur zweimal versagt, aber es beim dritten Mal schafft, oder aber die Kraft der Liebe/ die Lösung eines Rätsels/ etc. magische Fähigkeiten freilegt, dann kann das deshalb akzeptiert werden, weil es Leser*innen aus zahlreichen Märchen vertraut ist. Dabei kommt es jedoch aufs Genre an. In einer expliziten Märchenadaption oder einem Fantasyroman, der eher märchenhaft-träumerisch daherkommt, wird dies wahrscheinlich leichter akzeptiert werden, während Leser*innen, denen sich ein Buch auf den ersten Seiten als Grimdark-Roman zu erkennen gegeben hat, vermutlich eher damit rechnen werden, dass naiver Glaube an die Kraft der Liebe ihre Hauptfigur geradewegs ins Verderben führt.

2.3 Magie als Metapher
Nicht alle, aber viele Leser*innen sind auch gewillt, Magie oder das Übernatürliche sogar mit kleinen Inkonsistenzen zu akzeptieren, wenn es eigentlich nicht primär um die Magie geht, sondern sie etwas anderes repräsentiert. Das Universum der Serie „Buffy“ weist eine Reihe von Ungereimtheiten auf, aber da die diversen Monster und Probleme in erster Linie Probleme des Erwachsenwerdens symbolisieren, ist es leichter, sie hinzunehmen.
Auch in den meisten Büchern Gesa Schwartz' dient Magie in erster Linie dazu, entweder widerzuspiegeln oder durch das Heraufbeschwören sonderbar spezifischer Prüfungen und Konflikte Situationen zu schaffen, die enthüllen, was in den Protagonist*innen vor sich geht. Bei ihr kommt noch eine sehr lyrische, metaphernreiche Sprache hinzu, die die Grenze zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, poetischer Umschreibung und beobachtbarem Geschehen verwischen lässt. Das erleichtert es, über die sehr diffusen Regeln der Magie in ihrer Welt hinwegzusehen.

2.4 Magie dient eher der Atmosphäre
Und dann gibt es noch die Geschichten, in denen Magie unerklärt existiert. Sie hat die wichtige Rolle, zur Atmosphäre der Welt beizutragen und hier und da den Plot zu beeinflussen, aber da i.d.R. keine zentrale Figur sie beherrscht oder versteht, steht sie nicht im Mittelpunkt.
So verhält es sich z.B. mit Geistern oder der Zauberei eines Nomadenvolks in Guy Gavriel Kays „Der Schatten des Himmels“: Magie ist real, aber es geht primär um die Intrigen von Menschen, die nicht einmal an sie glauben, und so ist sie über weite Strecken nur eine weitere Lage von Rätsel und Geheimnis.
Tatsächlich ist es ohnehin ein guter Worldbuilding-Ratschlag, dass die Figuren nicht alles über ihre Welt wissen und die Grenzen zwischen Fakt und Aberglaube fließend sein könnten. Z.B. glaubten in unserer Welt Menschen im Mittelalter den Schilderungen John de Mandevilles, der, ohne je dort gewesen zu sein, davon erzählte, dass einige Bewohner Äthiopiens einen einzigen großen Fuß hätten. Es macht eine Welt eher überzeugender, wenn Figuren nicht noch ihren letzten Winkel erkundet und nicht all ihre Regeln verstanden haben und widersprüchliche Geschichten und Überlieferungen kursieren.

2.5 Göttermagie
In dieser Version gibt es sehr eindeutig Magie und diejenigen, die sie ausüben, scheren sich nicht um Regeln – allerdings handelt es sich bei ihnen nicht um die Protagonist*innen, sondern um (manchmal unberechenbare) Götter. Robert Jackson Bennett hat mit seiner „Die göttlichen Städte“-Trilogie eine sehr einprägsame Version eines solchen Modells geschaffen: Die Götter in seiner Welt sind ebenso vom Glauben der Menschen beeinflusst, wie sie deren Leben formen, und die Realität selbst ist Wachs in ihren Händen – was angesichts der labilen Natur der Götter ziemlich beängstigend ist. Hinzu kommt noch die einzigartige und leicht verstörende Ästhetik, die er den Spuren ihres Wirkens verleiht.
Diese Variante erlaubt es, mächtige, unerklärliche Magie im Spiel zu haben, aber die Figuren dennoch mit den Limits normaler Menschen agieren zu lassen. Schwierig wird es, wenn die Götter Interesse am großen Konflikt der Handlung haben – warum greifen sie dann nicht direkt ein?
Ken Liu hat das z.B. in „Seidenkrieger“ damit gelöst, dass die Götter auf verschiedenen Seiten stehen und sich an Regeln für den Umgang mit Sterblichen und das erlaubte Ausmaß ihrer Einflussnahme gegeben haben – und sie sind auch nicht so leidenschaftlich bei der Sache, sondern scheinen die Sterblichen eher unterhaltsam zu finden.

2.6 Responsive Realities
Wenn die Welten so funktionieren, dass sich der Glaube oder die Gefühle von Menschen in Veränderungen ihrer physischen Umwelt übersetzen, handelt es sich um Responsive Realities. Ein sehr düsteres Beispiel ist Michael R. Fletchers „Beyond Redemption“ – hier formt sich die Realität nach dem Glauben der Menschen um, und wer am meisten von seinen Ideen überzeugt ist, hat die größte Macht. Dies führt dazu, dass gerade Wahnvorstellungen oft Realität werden. So verwest eine Figur, die am Cotard-Syndrom leidet (und daher glaubt, eine wandelnde Leiche zu sein) tatsächlich.
Eine „Responsive Reality“ ist eine gute Grundlage, um extrem vielgestaltige Magie und teilweise auch die Existenz von Göttern oder höheren Wesen zu erklären – Menschen haben sie „in die Welt geglaubt“.

Fazit
Harte und weiche Magiesysteme haben beide ihre Vorteile und werden beide akzeptiert, solange Magie nicht einfach eine bequeme Lösung für Plotprobleme wird und den Rest der Handlung überflüssig macht, oder aber die Frage aufwirft, wieso Figuren nicht ständig darauf zurückgreifen. Eine weitere Herausforderung ist es, ein Kräftegleichgewicht zu gewährleisten: Keine Figur sollte so mächtig werden, dass niemand mehr einen wirklich bedrohlichen Gegner für sie darstellt. Man kann das durch sehr spezifische Fähigkeiten, einen hohen Preis oder den Fakt, dass sich Magie nur schwer kontrollieren lässt, ausgleichen, sodass Figuren entweder teilweise nicht in der Lage sind, etwas mit ihren Kräften auszurichten, oder aber zögern, sie einzusetzen. (So habe ich das z.B. mit Drúdir gelöst – seine Fähigkeiten sind mächtig, aber sehr spezifisch, und es ist ihm nahezu unmöglich, sie in einem Kampf einzusetzen, ohne dass sein*e Gegner*in dabei dauerhaften Schaden nimmt).
Wovon ich persönlich abraten würde, sind wissenschaftliche Erklärungen für Magie, die bei genauerem Hinsehen auseinanderfallen. Dann lieber doch einfach ein Magiesystem herbeiwinken, aber dann auf dieser Grundlage konsistent bleiben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Wie ist die Magie in die Welt integriert? Wenn z.B. ausreichend Menschen die Fähigkeit der Teleportation haben und Dinge mitnehmen können, wird das die Art beeinflussen, wie Handel und Kommunikation funktionieren. Wenn genug Menschen magische Kräfte haben, wird das den Verlauf der Geschichte, gesellschaftliche Hierarchien, technische Entwicklungen usw. auf vielfältige Weise beeinflussen. Aber das ist ein Thema für einen eigenen Artikel, den ich vielleicht irgendwann schreiben werde.

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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. 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Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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