Phantastik als Spiegel

Swantje Niemann • 31. März 2018

Helfen uns phantastische Bücher dabei, über die Aspekte unseres Lebens zu reflektieren, die wegen ihrer Alltäglichkeit für uns unsichtbar geworden sind?

(Ein kleiner Artikel, in den ich tendenziell zu große Ideen zu verpacken versuche).

Einem Artikel im „Spiegel“ zufolge hat Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro gemischte Reaktionen darauf erhalten, dass einige seiner Romane wie „Der begrabene Riese“ oder „Alles was wir geben mussten“ Elemente der Fantasy oder Science-Fiction aufgreifen. Es heißt, Kritiker hätten ihm eine „Flucht“ in diese Genres vorgeworfen.

Meine Meinung zu Kritikern, die jeden Anflug des Phantastischen pauschal verurteilen und phantastischer Literatur das Potenzial absprechen, über literarischen Wert zu verfügen oder sich mit bedeutenden Themen auseinanderzusetzen, habe ich an anderer Stelle deutlich gemacht. Die Grenze zwischen guter und schlechter Literatur verläuft nicht entlang der ohnehin oft verschwommenen Trennlinien zwischen verschiedenen Genres.

Aber das hier soll kein Meckerpost über die böse elitäre Literaturszene werden, die uns arme Phantastikleser und -autoren ausschließt. Stattdessen möchte ich fortsetzen, was die anderen Mitglieder des Literatopia-Teams und ich im Phantast-Magazin #18 begonnen haben: Erkunden, wie und warum sich Autoren sich des Phantastischen bedienen, um in der realen Welt relevante Themen von Herrschaft und Unterdrückung zu beleuchten.

Hierbei möchte ich den Fokus auf zwei Bücher legen, die sich beide mit einem Aspekt dieser Thematik beschäftigen, welcher in weniger differenzierten Darstellungen von Macht und Auflehnung gerne untergeht: Die Art, wie lebenslange Indoktrination es den Unterdrückten schwermacht, Widerstand überhaupt zu denken. Kazuo Ishiguros „Alles was wir geben mussten“ und N.K. Jemisins „The Fifth Season“ schildern genau dies auf eindrucksvolle Weise.

In „Alles was wir geben mussten“ (engl. Originaltitel: „Never let me go“) beschreibt Ishiguro das Aufwachsen von drei Kindern in einem abgelegenen Internat. Erst allmählich erfahren die Leser, dass ihr Leben nicht ihnen gehört – sie wurden dafür „gezüchtet“, einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Was ihnen bevorsteht, erscheint ungeheuerlich. Figuren und Lesern erschließt sich die Wahrheit gleichermaßen allmählich, doch während man als Leser*in schließlich alarmiert ist und sich wünscht, dass die Figuren davonlaufen oder aufbegehren, fügen sich diese in ihr Schicksal. Dass Kathy und Tommy versuchen, einen Aufschub zu erreichen und dass Tommy auf ihr Scheitern mit einem Wutanfall reagiert (für den er sich gleich darauf entschuldigt) ist das einzige, was sie gegen ihren vorgezeichneten Weg zu unternehmen versuchen. Alle spielen sie nach den Regeln des Systems, Kathy ist sogar eine Helferin, die dazu beiträgt, einen reibungslosen Ablauf des stets nur in Euphemismen beschriebenen Prozesses zu garantieren.

Tatsächlich macht diese Weigerung der Figuren, über die Wahrheit nachzudenken und ihre Unfähigkeit, auch nur an eine Verweigerung ihrer „Pflicht“ zu denken, die Charaktere beim Lesen ziemlich anstrengend. (Der Roman liest sich an sich eher langsam und legt den Fokus auf Alltagsereignisse und zwischenmenschliche Interaktion. Das eigentliche Drama findet oft außerhalb der gezeigten Szenen statt und wird in zurückhaltender, beschönigender Sprache eher angedeutet als wirklich beschrieben. Das Widerstreben und vielleicht auch die Unfähigkeit von Ich-Erzählerin Kathy, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen, prägt das ganze Buch).

Vielleicht lässt sich die Resignation der Figuren, ihre Entschlossenheit, ihr Schicksal mit Würde zu tragen und ihr Gefühl, dass jedes Aufbegehren vergeblich ist, als eine Metapher für den Umgang mit der Unausweichlichkeit des Todes deuten, dafür, dass wir sterblich sind und uns allen letztlich viel zu wenig Zeit für die Dinge bleibt, die uns wichtig sind.

Aber natürlich musste Ishiguro sich der Frage stellen, wieso seine Charaktere nicht zu kämpfen oder zu fliehen versuchen. In einem Interview erklärte er, dass er kein Interesse daran hatte, eine Geschichte über „tapfere Sklaven“ und ihren Widerstand zu erzählen. Stattdessen interessierte ihn, was Menschen dazu bewegt, eben nicht aufzubegehren. Und es ist auf traurige Weise glaubwürdig, dass seine Figuren, die ihr Leben lang auf ihr Ende vorbereitet wurden, dieses schließlich akzeptieren, weil sie in dem Wissen aufgewachsen sind, dass dies von ihnen erwartet wird und es keine Alternative gibt. Widerstand ist für sie sozusagen undenkbar und sie assistieren freundlich bei ihrer eigenen Ausbeutung. Das Szenario regt zum Nachdenken darüber an, welche Behauptungen darüber, was wir tun sollten oder was für uns unmöglich ist, wir internalisiert haben.

In einem Beitrag im „Guardian“ begründet Ishiguro seine Entscheidung, ein Science-Fiction-Element zu nutzen, um den Fragen nachzuspüren, die ihn beschäftigt haben, damit, dass er nicht wie die Autoren der Vergangenheit in der Lage sei, Figuren einfach Gespräche über die philosophischen Themen führen zu lassen, die er erkunden wolle. Das Sci-Fi-Szenario habe es ihm erlaubt, das auf natürlichere Weise zu tun.

Auch N.K. Jemisin nutzt das Potenzial eines phantastischen Elements, um sich des komplexen Themas von Unterdrückung und Indoktrination anzunehmen. Ihr Roman „The Fifth Season“ (Auftakt zur „The Broken Earth“-Trilogie) spielt in einer regelmäßig von Erdbeben und Vulkanausbrüchen erschütterten Welt, in der einige Menschen – Orogenes – die Gabe haben, Erdbeben zu beherrschen. Ihre Fähigkeiten sind so nützlich, wie sie zerstörerisch sind. Die „Stills“ – Menschen ohne ihre Begabung – wollen sie daher um jeden Preis kontrollieren.

Dazu macht ein Herrscher den Vorschlag, dass man den Orogenes einreden müsste, sie könnten Größe und Zugehörigkeit erlangen – wenn sie sich mühevoll den Respekt verdienen, der jedem anderen einfach so entgegengebracht wird. Um akzeptiert zu werden, so soll es den Orogenes beigebracht werden, müssen sie perfekt sein.

Mir ist es kalt den Rücken heruntergelaufen, als ich das gelesen habe. N.K. Jemisin lässt einen Charakter hier einen unangenehm effektiven Unterdrückungsmechanismus beschreiben, dessen Wirksamkeit man in ihrem Roman mehrfach beobachten kann. Diese Schilderung gewinnt noch einmal an Gewicht, wenn man sie darauf bezieht, wie Minderheiten in der realen Welt behandelt werden.

Aber N.K. Jemisins Portrait der zynischen Idee, Menschen ein selbstzerstörerisches Streben nach Perfektion einzupflanzen, das sie alle Fehler bei sich selbst suchen lässt, davon abhält, aufzubegehren, und sich ausnutzen lässt, hat mich noch an einen anderen Aspekt des realen Lebens erinnert: Ganze Industrien basieren darauf, dass Menschen glauben, nicht gut genug zu sein. Dass sie immer schöner und produktiver werden müssen, um in einer Welt, die keine Fehler verzeiht, eine Chance auf Akzeptanz und Zufriedenheit zu haben.

Manchmal frage ich mich, ob dieses nagende Gefühl, all den oft widersprüchlichen Erwartungen, die uns mehr oder weniger klar artikuliert im Alltag umgeben, genügen zu müssen, nicht noch größere Probleme aufwirft, als Individuen Schuldgefühle zu verursachen und wertvolle emotionale und kognitive Energie zu binden:

Nein, das ist kein unrealistischer Standard, ich bin bloß zu schwach, um ihm zu genügen.

Das Problem sind nicht die zusätzlichen Hürden, mit denen ich konfrontiert bin, sondern meine Unfähigkeit, sie zu überwinden.

Nur Verlierer beschweren sich über ungerechte Spielregeln.

Das sind Gedanken, die gewährleisten, dass sich nichts ändert.

Ich habe wirklich nichts gegen Selbstkritik), aber manchmal ist eben nicht das Individuum das Problem, sondern eine Gesellschaft, die es diesem schwer macht, Zufriedenheit und Sicherheit zu finden.

Fantasy- und Science-Fiction-Autoren – und bei weitem nicht nur die, die ich eben genannt habe – erkunden in ihren Werken genau diese Gefahr, dass wir selbst zu Handlangern werden, die Praktiken, Systeme und Ideen, die uns nicht guttun, unterstützen, weil wir die Forderungen, die sie an uns stellen, verinnerlicht haben. Die Grenzen zwischen dem, was wir wollen und was wir glauben, wollen zu sollen, sind unscharf. Wie auch nicht? Schließlich sind wir ja das Produkt unserer täglichen Interaktion mit unserer Umwelt und sind offen für Einflüsse, weil wir das sein müssen – die Offenheit, die uns verletzlich gegenüber Ideen macht, die uns nicht guttun, erlaubt es auch, zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Es ist unheimlich schwierig, die Kultur zu hinterfragen – oder auch nur bewusst wahrzunehmen – die uns jeden Tag umgibt und uns womöglich ein Leben lang umgeben hat.

Und deshalb glaube ich, dass Phantastik vielleicht geeigneter als andere Genres ist, um uns diese Prozesse der Internalisierung herrschender – oder bewusst in Umlauf gebrachter – Ideen bewusst zu machen und uns zu einer kritischen Reflektion zu bewegen. Unsere Welt in einer alternativen Gegenwart oder aber einer anderen Welt gespiegelt zu sehen, birgt die Chance, sie mit einem anderen, distanzierteren Blick zu sehen und dabei vielleicht Unerwartetes zu entdecken.

Abgesehen davon: Gute phantastische Romane zu lesen macht einfach Spaß.

Bibliographische Angaben:

Kazuo Ishiguro: Alles was wir geben mussten (Heyne 2016, ISBN: 978-3453421547)

N.K. Jemisin: The Broken Earth 1 – The Fifth Season (Orbit 2016, ISBN: 978-0356508191)

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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. 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